Buchrezension Super Sad True Love Story von Gary Shteyngart


Argh, was soll ich heute schreiben? Ich habe gestern nichts gemacht außer über den Brexit zu ranten und ein Buch fertig zu lesen, weil ich es in der Stadtteilbibliothek abgeben musste. In München gilt: Das Datum auf dem Rückgabeschein ist der allerletzte Tag, an dem man ein Medium zurückgeben kann. Danach sind pro Tag pro Medium 20 Cent sowie eine Bearbeitungsgebühr von 2,50 zu entrichten. Von den Mahngebühren hätte ich mir schon zwei Taschenbücher kaufen können.

Wie dem auch sei, gestern Nachmittag las ich den Roman "Super Sad True Love Story"* von Gary Shteyngart zu Ende. Er wurde mir vor Jahren von einem damaligen Kollegen empfohlen. Er kannte meinen Blog und meinte, vielleicht wäre das etwas für mich. Im Roman spielen Asian-Americans eine gewichtige Rolle, so seine Aussage.


Geschlagene drei Jahre hat es gedauert, bis ich das Buch schließlich gelesen habe, hier also mein Eindruck davon. Kurz zusammengefasst geht es um eine unglückliche Liebesgeschichte zwischen Lenny Abramov, einem russisch-jüdischen Mann mittleren Alters in New York, der ein wenig zu romantisch veranlagt und literaturinteressiert ist, und Eunice Park, einer fünfzehn Jahre jüngeren, hübschen Koreanisch-Amerikanerin, die distanziert und seltsam entkoppelt erscheint und sich für wenig anderes als ihre Familie und Konsum interessiert. Während Lenny Feuer und Flamme für Eunice ist, scheint Eunice ihn hauptsächlich dafür zu lieben, dass er nicht übergriffig und einfach lieb zu ihr ist. Er ist verknallt, sie findet ihn nett und angenehm.

Lenny arbeitet in einem Unternehmen, das Lösungen für ewiges Leben an Superreiche verkauft, er selbst fürchtet sich extrem vor dem Nichtexistieren. Überhaupt ist Lenny bisweilen ein extrem melancholischer, manchmal unerträglich weinerlicher Protagonist, wo ich mich frage, warum ich Bücher lese, deren Hauptcharaktere ich zutiefst unsympathisch finde. Es ist alles in allem eine asymmetrische Beziehung, durch und durch mittelmäßig, was vielleicht der Witz an der ganzen Sache ist. Weil nichts daran "super sad" ist.


Das Setting ist eine je nach Blickwinkel düstere Zukunft, in der Amerika in einer handfesten Wirtschaftskrise steckt, sich die Armen gegen die Amerikanische Restaurationsregierung stemmen und der Yuan und die chinesischen Banken den Weltlauf bestimmen. Es wird nicht mehr gelesen, sondern nur noch gescannt. Die Medien sind von Streams irgendwelcher "BloggerInnen" bestimmt, während die etablierten Media-Outlets zu großen Konzernen gehören und alles andere als unabhängig sind. In Tagebucheinträgen und Chat-Nachrichten erfahren wir, was zwischen Lenny und Eunice, aber auch was zwischen Lenny und seinen Eltern, seinen Freunden und seinem Boss, und was zwischen Eunice und ihrer Familie und ihrer besten Freundin passiert.

Zu Beginn war ich skeptisch: Der Autor hat russisch-jüdische Wurzeln, schreibt aber viel aus einer asiatisch-amerikanischen Sichtweise. Ob das klappt? Es ist schwierig, von außen ein authentisches inneres Bild einer anderen Kultur zu zeichnen. Aber es funktioniert weitgehend. Ohne selbst koreanische Wurzeln zu haben, sind gerade die Familienverhältnisse hervorragend dargestellt. Viele Konflikte und Themen, die im asiatischen Familienverständnis wurzeln, finde ich auch bei mir wieder. Man merkt, dass der Autor akribisch recherchiert hat. Gerade die Chatnachrichten von Eunices Mutter, in der deutschen Ausgabe ebenfalls in gebrochenem Deutsch gehalten, klingen 1:1 wie Aussagen meiner eigenen Mutter, die ebenfalls immer an meinen christlichen Glauben appelliert.

Was mir nicht so gut gefallen hat, war der extrem negative Blick auf  Internet, soziale Netzwerke und die (post?)moderne Gesellschaft. Die virtuellen Netzwerke und mobilen Devices erscheinen als Symptom für eine degenerierende Gesellschaft, die Hypersexualisierung (von Frauen) befördern und die Menschheit verdummen. Im Gedächtnis geblieben sind mir Onionskin-Jeans, durchsichtige Hosen, die alles enthüllen, TotalSurrender - Höschen, die sich im Schritt öffnen lassen, sowie der exzessive Gebrauch des Wortes "Bitch". Das Buch ist von 2011, also muss es in den vergangenen fünf Jahren noch schlimmer geworden sein.

Insgesamt war das Buch OK, ich gebe ihm 3,5 von 5 Sternen. Wer Romane von Houellebecq und Dystopien aus naher Zukunft mag, wird "Super Sad True Love Story" gut finden - es enthält nicht ganz so viel Sex und Ekel wie Houellebecqs Oeuvre, dafür denselben pessimistischen Blick auf unsere baldige Zukunft. 

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2 Kommentar/e:

  1. Was für ein Zufall, dass du heute eine Rezension darüber veröffentlichst. Zufall, weil ich das Buch vor paar Jahren auch mal gelesen habe und erst diese Woche wieder herausfinden wollte, worum es in dem Buch geht. Tatsächlich ist mir nicht viel geblieben vom Inhalt des Buches. Ich fand es nicht besonders schlecht, aber offensichtlich auch nicht besonders gut. Es hat also gerade so einen Eindruck hinterlassen, dass ich wusste, es mal gelesen zu haben.
    Zwar habe ich noch nicht viele Dystopien gelesen, bin aber sehr geneigt zu diesem Genre. Ich sollte mal mehr aus der Richtung lesen, vielleicht fesselt mich ja noch der ein oder andere Roman. Falls nicht, ist es doch nicht so mein Gebiet ^^

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    1. Ich fand es OK, stellenweise habe ich mich doch eher durchgequält, weil ich den Hauptcharakter wirklich so unsympathisch fand. Kann man schon mal lesen, es ist nicht verschwendete Lebenszeit per se. Nochmal lesen würde ich es sicherlich nicht.
      Dystopien lese ich fast nie, von daher war das mal eine nette Abwechslung ^^

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