Verschleierungstaktik

Zum einjährigen "Jubiläum" des Auffliegens der NSU-Mordserie sagte ein Vertreter des Bündnisses gegen Rassismus, dass Deutschland ein Rassismusproblem habe. Damit hat der Verband auf jeden Fall Recht - gerade aus sprachlicher Sicht.

Beginnen wir mit dem Wort "Rassismus". Der Begriff wurde und wird in den Medien systematisch vermieden*: Wenn ein Angriff von "ethnisch Deutschen" auf "anders Deutsche" verübt wird, sprechen die Medien immer noch viel zu häufig von einem "ausländerfeindlichen Motiv" oder "Fremdenhass".

Nun ist nicht jeder, der anders aussieht gleich ein Fremder. Ich bin da ein gutes Beispiel - ich bin in Deutschland geboren und habe hier den allergrößten Teil meines Lebens verbracht. Ein Fremder ist jemand, der sich nicht auskennt, etwa ein Tourist oder ein neu Zugezogener. Die können auch vertraut aussehen - zum Beispiel, weil sie helle Haut haben und ähnliche Kleidung tragen. Indem man Menschen wie mich und andere mit einem ähnlich gemischten Hintergrund als "Ausländer" bezeichnet, zieht man semantisch eine Grenze zwischen dem Mainstream und den Outsidern. Es steckt schon im Wort: "Ausländer" sind die, die von außerhalb des Landes kommen. Die "echten" Deutschen hüben und ihr drüben - fein säuberlich geordnet.

Überspitzt kann man sagen: Ein ausländerfeindlicher Angriff ist vom Sprachgefühl her weniger schlimm als ein rassistischer Angriff. Betrifft schließlich nur die Outsider, diejenigen, die nicht zur Mehrheit gehören. Und diejenigen, die diese Verbrechen begehen, sind "Rechtsextreme". Aber die gehören ohnehin nicht zur Mitte der Gesellschaft, die sind "extrem", böse und fehlgeleitet - ergo ist das alles nicht unser Problem.

Das kollektive Versagen der Behörden bei der Mordserie und dass niemand darauf kam, dass Rassismus, ja blanker Hass das Motiv sein könnte, zeigen nur zu genau, wie der eigene Rassismus von der Gesellschaft verdrängt und als Sache des asozialen rechten Randes abgetan wird - weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Systematischer Rassismus im Deutschland des 21. Jahrhundert? Gott bewahre!

Das Wort "Rassismus" ist so viel schärfer als das euphemistische "Ausländerfeindlichkeit", nicht zuletzt wegen seines Klangs mit dem aggressiven "R" und dem zischenden "s". Die Scheu, von "Rassismus" und "Rassisten" zu sprechen, liegt vermutlich an der unseligen Geschichte Deutschlands, an Begriffen wie arische Rasse, Rassenwahn, Rassenhygiene, minderwertige Rassen. Wie sehr möchte man der Welt beweisen, dass man sich nach 1945 gebessert hat. Dass das alles hinter einem liegt.

"Seht her, wie schuldig wir uns fühlen! Seht her, wie viele Dokumentationen über die NS-Zeit gesendet werden! Wie wir uns selbst geißeln, indem wir alle 500 m ein Denkmal für die Opfer des Dritten Reichs aufstellen! Wie wir nicht stolz auf unser Land sind! Wir gehören zu den Guten..."

Das Wort "Rassismus" zu benutzen hieße sich einzugestehen, dass es mit der Besserung und der Toleranz so weit nicht her ist, dass der schlimme Albtraum vom "bösen Deutschen" noch lange nicht ausgeträumt ist. "Rassismus", sowohl als Begriff wie auch als Sachverhalt, halten der Gesellschaft einen Spiegel vor. Und darin ist eine hässliche Fratze zu sehen, von der man gedacht hatte, dass sie schon längst Vergangenheit war.







*Wobei ich das Gefühl habe, dass es besser wird. Interessant bei der Berichterstattung über ähnliche Vorfälle in den USA: Rassismus heißt Rassismus. Und nicht verschämt-verbrämt Ausländerfeindlichkeit.

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2 Kommentar/e:

  1. Ja, klar, in den USA gibt es ja auch keine "Ur-Weißen". Das haben nur die Amis selbst noch nicht kapiert.

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    1. Allerdings. Andererseits ist die weiße Mehrheit anscheinend auf dem Rückzug und das scheint einigen mächtig Angst einzujagen...

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