"OPPA GANGNAM STYLE...!!" oder: Wie der koreanische Popsong ins norwegische Radio kam.

Irgendwann letzte Woche muss es gewesen sein: Für mein Seilspringtraining mache ich gerne Dudelradio an, um bei ausreichend Beats per Minute meiner Verantwortung für meine Gesundheit und Fitness nachzukommen. Ich schaltete also an meinem Smartphone einen norwegischen Radiosender ein (für alle erlernten Sprachen gilt: use it or lose it) und fröhlich schallt mir entgegen:

"OPPA GANGNAM STYLE...!!"


...Es gibt vor diesem Song kein Entkommen - und auch nicht vor dem dazugehörigen Tanz mit Reiterreminiszenzen: Der Tanz wird in "Wetten, dass...?" als Saalwette aufgeführt, beim Torjubel in der Bundesliga wird ebenfalls reitermäßig getanzt, und jetzt das norwegische Radio.

Wer bis zum heutigen Tag noch nie von Gangnam Style gehört hat, hat die letzten Monate in einer Höhle verbracht oder besitzt kein Internet, kein Radio, keinen Fernseher und keine Zeitung. Kurz gesagt ist Gangnam Style ein koreanischer Popsong des Sänger Psy, der im dancigen Ohrwurmgewand daherkommt und sich über den teuren, völlig abgehobenen Lebensstil des noblen Stadtviertels Gangnam in Seoul lustig macht.

"OOP... OOP OOP OOP OOP - OPPA GANGNAM STYLE!!"

Vom Lied habe ich zum ersten Mal über Schwesterherz erfahren - sie ist hinsichtlich Internet-Memes meine zuverlässigste Quelle: "Kennst du schon diesen einen K-Popsong, der im Internet ein richtiger Hit ist? Der ist ziemlich witzig, vor allem das Video." Das war Ende August. Seitdem hat sich der Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad des Liedes exponentiell gesteigert. Das dazugehörige Youtube-Video hat etwa eine halbe Millarde Klicks - Rekord.

Warum ist dieses Lied nur so beliebt? Zunächst einmal wäre die Struktur des Songs. Er klingt, abgesehen vom koreanischen Text, nicht sonderlich fremd, sondern nutzt die gängigen Mittel der Techno-Dance-Musik, wie sie heutzutage gang und gäbe ist. Man erinnere sich nur an David Guetta: stampfender Beat, einfacher Text, eine eingängige Hookline. Ansonsten haben wir Strophe, Bridge, Refrain, easy-peasy. (Profi-Tipp: Songstruktur einfach mal mit "Party Rock Anthem" vergleichen - die Ähnlichkeiten sind frappant.)

"HEEEEYY, SEXY LADY!!!"

Desweiteren: der Tanz im Video. Die angedeuteten Reiterbewegungen, die Hüfte vor und zurück: Der Tanz ist unglaublich doof, dadurch aber auch unglaublich unterhaltsam - perfektes Futter für eine Internet-Mem. Überhaupt das Video: Es ist überzogen, bunt wie ein Knallbonbon und hat eine generell hohe WTF-Rate. Es macht einfach Spaß.

Mir stellt sich hier nun eine Frage: Spielt es eine Rolle, dass das Lied aus Asien stammt? Gerade wenn es um die Rezeption von Japan und teilweise Südkorea geht, wird nur von den größten Skurrilitäten berichtet, was dann natürlich das Außenbild prägt. So seltsam einem die JapanerInnen erscheinen mögen: Es gibt keine Automaten mit gebrauchter Mädchenunterwäsche und nicht alle Japaner ersetzen eine fehlende Freundin durch ein riesiges Knuddelkissen in Form einer Manga- oder Anime-Figur. Und ich bin mir sicher, dass nicht alle Koreaner unter 18 ihre Zeit damit verbringen, Starcraft auf Turnierlevel zu zocken und ansonsten nur zu lernen. Durch einseitige Berichterstattung entsteht leicht das Bild, alle AsiatInnen hätten einen Schlag. Gangnam Style könnte in diese Richtung interpretiert werden: "Guck mal, was diese verrückten Asiaten wieder machen!"

"OPPA GANGNAM STYLE...!!"


Eine andere mögliche, sehr positive Lesart wäre: Im Jahr 2012 ist es auch für Künstler aus Nicht-USA und Nicht-UK möglich, einen weltweiten Trend zu setzen. Das wäre schön, doch das glaube ich nicht. Es gibt immer wieder Lieder auf nicht-englisch, die ganz plötzlich weltweit bekannt werden, doch einen dauerhaften Trend setzen sie nie. Berühmte Beispiele sind 99 Luftballons von Nena, Pata Pata von Miriam Makeba, Dragostea din tei von O-Zone (btw auch durchs Internet bekannt geworden) oder eben Gangnam Style von Psy. Für eine Weile schaffen sie es, aus unserer Welt ein globales Dorf machen, das auch Hits außerhalb des amerikanischen popkulturellen Kontexts zulässt. Aber der Effekt hält leider nie lange an.

Letztendlich lässt sich nicht abschließend erklären, wie diese koreanische Perle des Pop ins norwegische Radio kam. Möglicherweise bezeichnet das Lied den kleinsten gemeinsamen Nenner globaler Popkultur - was dem gepflegten Kulturpessimisten einen Herzkasper beschert. Möglicherweise war es einfach eine Mischung aus viralem Youtube-Hype, Witz und dem ominösen Zeitgeist. Und der hat schon einen seltsamen Humor.

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CONVERSATION

9 Kommentar/e:

  1. "Für eine Weile schaffen sie es, aus unserer Welt ein globales Dorf machen, das auch Hits außerhalb des amerikanischen popkulturellen Kontexts zulässt. Aber der Effekt hält leider nie lange an."

    Aber es gibt ihn jetzt. Endlich. Für mich sind "globale Ereignisse" dieser Art eher ein Ausdruck dafür, dass aus der Idee des globalen Dorfes langsam Realität wird. Solche Blüten halten zwar nicht lange, aber sie geben dem erlenten Wissen Gewissheit. Es stimmt tatsächlich, da ist was auf der anderen Seite des Planeten und die können auch Pop und nicht nur traditionelle chinesische/koreanische/japanische Musik.

    Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob jemand ein Land bereist oder ob er sein Wissen darüber aus Quellen Dritter bekommt. Ich wette, die große Mehrheit der 500 Mio. Youtube-Klicker würde Südkorea nicht auf der Landkarte finden und könnte höchstens mit ein paar Vorurteilen über das Land aufwarten.

    Aber es sickert durch, das Bewusstsein, dass "die" zwar anders aussehen mögen und kulturell anders geschaltet sind als wir, aber dennoch so sind wie wir. Oder sind wir so geschaltet wie "die"?

    Wenn irgendwann einmal diese Frage beim durchschnittlichen Youtuber ankommt, sind wir im globalen Dorf angekommen. Das ist nur eine Frage der Zeit.

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    1. Danke für dieses positive Feedback! Ich würde mich freuen, wenn wir irgendwann auch wirklich fühlen, dass wir alle im selben Dorf leben.

      Momentan bin ich eher noch vorsichtig und warte ab, wohin sich unsere Welt entwickelt. Aber wer weiß, vielleicht wird das ja noch etwas mit der in Einigkeit verbundenen Menschheit...

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  2. Fand ich noch ganz interessant: Hinter dem für viele einfach lustigen Lied steck doch ein ernsterer Hintergrund:
    http://www.newser.com/article/da1cnkno1/beyond-funny-horse-dance-gangnam-style-is-sharp-commentary-on-social-divides-in-skorea.html

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    1. Danke fürs Verlinken - in diesem Kontext könnte man das Lied und seinen Erfolg sogar als globale Kritik am ressourcenverschwendenden, völlig aufgeblasenen Lebensstil der Eliten sehen. Gerade richtig in Krisenzeiten wie diesen...

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  3. "Wer bis zum heutigen Tag noch nie von Gangnam Style gehört hat, hat die letzten Monate in einer Höhle verbracht oder besitzt kein Internet, kein Radio, keinen Fernseher und keine Zeitung."
    Oder er lebt im Nachbarland des suedkoreanischen Saengers. Waehrend hier alle moeglichen suedkoreschanischen Girl- und Boybands die Charts toppen, ist Psy's Gangnam Style noch ziemlich unbekannt. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis das ganze aus den USA herueberschwappt. Falls nicht, wuerde es mich auch nicht wundern. Waere nicht da erste Mal, das ein Trend aus den USA es nicht bis nach Japan schafft.

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    1. Ja, Japan... Schwesterherz hat mir auch gesteckt, dass Psy in Japan nicht besonders groß ist - wie sagte sie so schön: "Der ist nur ein weiteres Sandkorn am Meer."

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    2. Heute war in der Zeitung ein ganz interessanter Artikel mit der Ueberschrift “Psy, who?” zu finden. Ein Prof. fuer Musik, ein in Japan erfolgreicher koreanischer Saenger und ein us-amerikanischer Fernsehproduzent und -kommentator haben jeweils aus ihrer Sicht Psy’s Erfolg in Amerika und seinen bisherigen Nicht-Erfolg in Japan analysiert. Wenn ich Zeit finde und es gewuenscht wird, kann ich eine Zusammenfassung hier posten.

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  4. Ich finde, dass die musikalische Komposotion schon mehr zu bieten hat die durchschnittliche Techno-Dance Musik, aber da kenne ich mich nciht wirklich aus, sodass ich vielleicht nur die eher plumpen Sachen gehört habe. Ich hoffe, dass das Video eine Weile aktuell bleibt und Psy auch mit den kommenden Liedern weltweite Bekanntheit erreicht. Leider sind solche Phänomene oft nur auf ein Lied beschränkt, während jedes neue Lady Gaga Lied wie eine Offenbarung gefeiert wird.
    Und was die englischen Sprachkenntnisse angeht, bezweiflich ich bei 50% der Musikhörer, dass sie mehr als nur Frasen verstehen, wenn überhaupt irgendwas. Selbst im Unihörsaal musste ich gestern Übersetzungshilfe leisten, weil kaum einer den englisch Sprechenden Mann verstanden hat. Warum also nicht Südkoreanisch?
    Guter Artikel. =)

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    1. Ich muss gestehen, dass ich nicht so der Club- oder Discogänger bin. Mein Wissen darüber, was derzeit so aktuell ist, stammt aus dem norwegischen Dudelradio (s.o.) oder Radio NRJ. Die Bandbreite an Musik ist da recht bescheiden (vulgo: alles klingt gleich).

      Ich bin auch schon mal gespannt, ob Psy es schafft, einen guten Nachfolger hinzubekommen. Von der Popularität wird Gangnam Style nicht zu toppen sein. Wir werden sehen :)

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