Mein McDonald's* oder: Der Fall des Big Tasty


Oh die Tristesse. Mein McDonald's

Ich muss ein Geständnis ablegen, das manche erschüttern mag: Manchmal gehe ich zum McDonald's, ganz unironisch und in vollem Bewusstsein, dass man sich damit beim bio-affinen Bildungsbürgertum unbeliebt macht. Sei's drum.
 
Der etwas schäbig wirkende McDonald's an der Straßenecke (s.o.) befindet sich im westlichen Stadtbezirk Laim. Laim ist unspektakulär, weder gibt es dort coole Ausgehziele noch hat die allseits gefürchtete Gentrifizierung stattgefunden. Wobei es erste Anzeichen dafür gibt, denn viele MusikerInnen, die ich kennen gelernt habe, ziehen verstärkt nach Laim. Und jede/r weiß: Wo Jazz-MusikerInnen sich niederlassen, sind auch freischaffende KünstlerInnen und später auch Studierende nicht mehr weit. Aber ich schweife ab.

Als ich noch ein kleines Mädchen war und auf dem mittelfränkischen Land wohnte, gab es keinen McDonald's. Selbst wenn es einen gegeben hätte: Wir wären dafür zu arm gewesen. Meine Mutter pflegte zu sagen, dass sie mit dem Geld für einmal Fastfood essen gehen unsere Familie eine Woche lang versorgen könnte. Womit sie natürlich Recht hatte. Und gegen selbstgemachtes frisches Essen ist nichts einzuwenden.

Fastfood war besonderen Gelegenheiten vorbehalten. Wie das so ist mit Dingen, die man nicht haben kann: Sie üben noch mächtigeren Reiz aus. Aus diesem Grund freute ich mich immer, wenn wir zu meinen Großeltern nach Nürnberg fuhren. Mein Onkel, Mamas jüngerer Bruder, wohnte noch bei unseren Großeltern. An Wochenenden unternahmen wir viel. Ich erinnere mich an Herbstnachmittage, an denen wir uns stundenlang mit Vogelbeeren bewarfen.

Das Highlight war jedoch, wenn wir zusammen zum McDonald's fuhren. Unser Onkel, meine Geschwister und ich - alle zusammen auf dem Weg zur Juniortüte, wie das Happy Meal damals hieß. Für mich als Kindergartensteppke gab es kaum etwas Besseres.

Irgendwann in den Teenagerjahren hörte ich auf, Fastfood zu essen. In zwei Wochen Nordamerika-Urlaub hatte ich einen Fastfood-Overkill und mochte das Zeug nicht mehr anrühren. Außerdem: War ich nicht zu alt und zu klug für so ungesunden Kram?

Das nächste Mal, dass ich einen McDonald's betreten sollte, war viele Jahre später. Ich studierte für ein Jahr in Norwegen, war allein und kannte niemanden. Es war einer dieser trüben regnerischen Tage, für die Bergen berühmt ist. Verlassen wie ich mich fühlte, ging ich an einem McDonald's vorbei. Das vertraute gelbe M. Der fettige Geruch. Ich ging hinein.

"Ledig kasse!"
"Hei. Jeg tar en Happy Meal med Pommes Frites, Chicken Nuggets og en Cola, takk!"
"Spis her eller ta med?"
"Jeg spiser her, takk."

Normfritten und Formfleisch. Hurra. Ich biss hinein. Sofort sah ich vor mir die Samstagnachmittage mit meinem Onkel und meinen Geschwistern. Die Schlachten mit Vogelbeeren. Spürte die roten Plastikstühle. War das Glückseligkeit? Sentimentale Kindheitserinnerungen sind manchmal in fettige Pappschachteln verpackt.

...


Wenn ich heute zum Laimer McDonald's gehe, dann mit einer Mischung aus Abenteuerlust und Sentimentalität. Er ist einfach anders, irgendwie speziell. Die Angestellten sehen so aus, als würden sie nicht in der Systemgastronomie, sondern in einer von Dantes Vorhöllen Dienst tun. Dementsprechend aufmerksam und motiviert sind sie. Aber wer kann es ihnen verdenken, bei der unterirdischen Bezahlung. Da gab es diesen Vorfall mit einem Big Tasty. Doch von vorn.

Ein guter Freund war zu Besuch. Wir hatten beschlossen, uns einen faulen Lenz zu machen und unser Mittagessen bei McDonald's zu holen. Samstagmittag zu McDonald's gehen - ganz schlechte Idee.

"Noch einmal bitte. Ich habe nicht verstanden." Ich stand im mickrigen Laimer McDonald's und orderte. Oder genauer: Versuchte zu ordern. Die Bedienung hatte einen deutlich osteuropäischen Akzent und mühte sich mit der Sprache ab. Wenn München sich als Weltstadt bezeichnet - nie war das wahrer als in diesem McDonald's. Die Angestellten dort kamen von vier Kontinenten und sprachen zehn Sprachen. Deutsch gehörte unter "ferner liefen". Ich wiederholte meine Bestellung, diesmal etwas lauter und langsamer.

Der Laden war voll, an den fünf Kassen herrschte Hochbetrieb. Da der gute Freund selbst kaum Deutsch sprach, übernahm ich das Bestellen. Das dauerte und war angesichts der Lärmbelastung durch zischende Friteusen und halbstarke Jungs- und Mädchengruppen eine Herausforderung. Nach nicht nur gefühlten, sondern tatsächlichen 20 Minuten waren wir wieder draußen.

Da ich zu den Leuten gehöre, die auch ihre Discounter-Kassenzettel rigoros überprüfen, stoppte ich meinen Bekannten und begutachtete den Inhalt unserer Tüten. Cola und Wasser. Check. Nuggets. Check. Zweimal Pommes. Check. Zwei Eisbecher: Check. Big Tasty. Big Tasty? Fehlt.

Wir kehren um, ich reklamiere. Die Schlangen waren nicht kürzer geworden. Durch meine Reklamation bricht Hektik hinter der Theke aus. Die Servicekraft lässt einen Big Tasty bauen, steckt ihn in ein viel zu kleines Packpapiertütchen und überreicht ihn mir. Ich ergreife das Tütchen, will es dem Freund reichen, doch die Verpackung hält dem Gewicht nicht stand: Der Burger segelt zu Boden und reißt dabei die Getränke mit sich in die Tiefe. Es spritzt.

Jetzt herrscht erst recht Chaos in der Frittenbude. Der Burger liegt derweil in einer Lache aus Cola und Mineralwasser, in völliger Auflösung begriffen. Welch trauriger Anblick. Schon stürmt eine Servicekraft nach vorn. Aber nicht, um aufzuräumen. Sie stellt lediglich ein gelbes Hinweisschild auf: Vorsicht, Rutschgefahr. Die Schlange bewegt sich diskret um den todessehnsüchtigen Burger herum.

Ich wische währenddessen Colaflecken von meiner Jacke und schiebe mit dem Fuß ein paar Stücke Salat und Speck tiefer in die Limo-Lache. Nach weiteren 20 Minuten kommt die osteuropäische Bedienung wieder und drückt mir zwei Big Tasty (einen extra als Entschädigung) und unsere Ersatzgetränke in die Hand. Diesmal geht alles glatt, wir verlassen fluchtartig den McDonald's. Auf dem Rückweg versuche ich, vom Eis zu retten, was zu retten ist. Zu spät: Es hat sich in Milchshake verwandelt. Ich seufze. "Sollen wir nochmal zurück?" - "Nein, bloß nicht."

Wochen später bin ich mit A. unterwegs. Wir haben Hunger. "Wollen wir schnell zum McDonald's gehen?" fragt sie. Ich überlege. Denke an den Big Tasty und das geschmolzene Eis, an Norwegen und meinen Onkel. An lange Wochen ohne Nervenkitzel. "Na klar," erwidere ich, "aber nur zum Laden in Laim."  



*Dieser Artikel wurde nicht gesponsert. Ich habe keine Verbindungen zum Unternehmen.

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2 Kommentar/e:

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    1. McDonald's ist inzwischen nur noch "pleasure", das "guilty" streichen wir ;) Wenns mich gelüstet, hol ich mir was, fertig :)

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