Identitätskrise.

Happy birthday to you, happy birthday to you, happy birthday, dear Danger Bananas, happy birthday to you!




Dieses Jahr verfehle ich meinen Bloggeburtstag nur um einen Tag zwei Wochen. Am 23.10.2010 startete ich den Blog Danger! Bananas. Was begann als Kanal für meine Selbsttherapie, ist angewachsen zum politisch-kulturellen Treffpunkt für alle asiatischen Menschen in Deutschland. Ich bin über die Jahre zu einer Spokesperson für meine Community geworden. What? Mein Gott, die Verantwortung...




Über 400 Einträge habe ich verfasst, ihr habt mehr als 1300 Kommentare geschrieben - viele LeserInnen folgen mir bereits seit den Anfangstagen. Dafür vielen Dank an euch! Ich habe jeden einzelnen Kommentar gelesen. Wenn ich nicht geantwortet habe, bitte ich dies zu entschuldigen.




Nach sechs Jahren Beschäftigung mit meiner Asiatisch-Deutschen/Vietnamesisch-Deutschen Identität stellt sich mir die Frage: Was jetzt? Um das Bild der Selbsttherapie weiter zu bemühen, fühle ich mich weitgehend austherapiert. Ich fühle mich wohl mit mir selbst, habe es mir zwischen den Stühlen bequem gemacht. An sich bräuchte ich nicht mehr über dieses Thema reden, für mich ist die Sache klar. Ich bin ich, ich bin komplex, ich bin Teil eines neuen Deutschland, auch wenn viele da draußen mich nicht als Teil dieser Gesellschaft akzeptieren wollen. Sei's drum.




Ich durchlief verschiedenste Phasen. Phasen, in denen es mir unheimlich wichtig war, das "Fremde" an mir zu diskutieren und zu betonen. In denen ich mich auch zur biodeutschen Umwelt abgrenzen wollte und musste. Zu anderen Zeiten vertrat ich sehr aggressiv meine Ansichten und war schnell dabei, andere für ihre beschränkte Sicht der Welt zu verurteilen oder zumindest darauf hinzuweisen.



Dass die Auseinandersetzung mit Themen wie Herkunft nach wie vor notwendig ist, zeigt mir mein letzter Artikel auf bento, in dem es um Dating als asiatische Frau in Deutschland geht. Es kamen positive Rückmeldungen, durchaus konstruktive Kritik, aber eben auch eigenartige Kommentare von Internettrollen und Hatern.



Wie wird es hier weitergehen? Ich werde weiterschreiben, über Dinge, die mich interessieren, die euch hoffentlich auch interessieren. Ich werde weiterhin auf problematische Aspekte hinweisen, aber anders als früher tangiert es mich nicht mehr persönlich. Wenn jemand ein Problem mit mir hat, dann ist das sein/ihr Problem. Ich muss mir die Weltsicht der anderen nicht zueigen machen.



Danke für sechs großartige Jahre. Auf sechs weitere großartige Jahre.


Der nasse Hund

Teska liebte es, in der Isar zu stehen und das Wasser anzustarren. Bild: Nicht Teska, via flickr: William Murphy


Da saß ich also, vor der Tür meines Exfreunds, mit einem Hund, der mir nicht gehörte, ohne einen Schlüssel in seine oder meine Wohnung. Der Hund war nass, ich war nass. Mich fröstelte. Es war das erste kalte Wochenende in diesem Herbst, es stürmte und regnete als wäre es November. Ich zog den Kapuzenpulli aus, um den Hund abzutrocknen. Die Irish-Setter-Dame sollte nicht an meinem Mangel an Voraussicht leiden.

Ihr werdet euch vielleicht fragen, wie ich in diese Situation kam. Es ist im Rückblick betrachtet eine Geschichte, die so deprimierend ist, dass es fast wieder lustig ist.

Nur einige Stunden zuvor hatte mein jetzt Ex-Freund zu mir gesagt: "Ich mag dich, aber ich will nicht mit dir zusammen sein." Wie man sich vorstellen kann, zog mir das den Boden unter den Füßen weg. Wir lagen beide gerade in seinem Bett. Ich wollte aufstehen und gehen, einfach nur weg. Stattdessen blieb ich neben ihm liegen. Ich lag da, neben ihm, ein Mensch, der mir vor wenigen Minuten noch so nah war und der jetzt auf einem anderen Planeten existierte. Einem Planeten, auf dem ich nicht wohnen konnte. Wohnen durfte.

Ich weinte leise, wir redeten, ich spielte meine "Hymns of Utter Defeat"-Playliste ab, die ich für derlei Anlässe vorbereitet hatte. Glorreicher Untergang. Pure Verzweiflung in donnernden Dur-Akkorden. Gefühle haben etwas Unergründliches. Wir mögen Menschen aus unerfindlichen Gründen, wir verlassen sie aus unerfindlichen Gründen.

Irgendwann am Abend ging er - er hatte ein Treffen mit Freunden verabredet. "Wenn du zurückkommst, werde ich wahrscheinlich nicht mehr da sein", sagte ich, als er seinen Mantel anzog. "Das wird sehr traurig sein", sagte er und ich glaubte ihm, dass er das so meinte. Aber was wusste ich schon von der menschlichen Natur. You know nothing. Er ging, ich blieb alleine zurück. Ich weinte vor mich hin, allein.




Nach zwei Stunden Weinen war ich ausgetrocknet. Ich schlich mich in die Küche und holte mir ein Glas Wasser, als ich den Hund im Flur liegen sah. Teska, die Irish-Setter-Dame mit den Hüftproblemen. Sie blickte mich erwartungsvoll an. Der Schlüsselbund lag in der Schüssel auf der Kommode, wie immer. "OK, Teska, lass uns spazieren gehen!" sagte ich zu ihr, als ob sie verstände. 'Ein letztes Mal', fügte ich im Kopf hinzu. Ich steckte mein Handy und den Schlüsselbund ein, nahm die Hündin an die Leine und ging raus. Sie freute sich so auf das Spazieren, dass ich keine Zeit hatte, sie in den Aufzug zu bugsieren. Fröhlich sprang sie die Stufen hinab als wäre sie ein Welpe, ich folgte ihr mit hängenden Schultern.

Wie in jeder klassischen Break-Up-Story goss es an jenem Tag in Strömen. Seltsam, meine Beziehungen hatten die unangenehme Angewohnheit, im Herbst zu implodieren. Sie waren wie Schmetterlinge, die im Spätsommer starben. Teska schien der Regen nichts auszumachen. Sie lief einfach neben mir her, schnupperte hier und da und war brav und lieb. Die frische Luft tat mir gut, aber was nützt ein bisschen frische Luft bei Herzenselend? Nach einer Runde um den Block hatten wir beide genug und gingen zurück zur Exfreund-Wohnung. Ich würde meine Sachen zusammenpacken und endgültig verschwinden.

Ich zog den Schlüsselbund aus der Jackentasche und öffnete die Tür.

 - So wäre es idealerweise gegangen.

Ich probierte jeden Schlüssel um festzustellen, dass keiner von ihnen passte. Glücklicherweise war ich zu traurig, um Panik zu bekommen. Wie der Zufall es so wollte, kam es noch schlimmer. Das heißt im Klartext: Der Mitbewohner meines Exfreunds war ebenfalls nicht da und nicht erreichbar. Ich war allein auf dieser ersaufenden Welt, bis auf den nassen Hund natürlich, der von meinem Unglück nichts ahnte.

In solchen Situationen übernimmt mein Pragmatismus - Panik holen wir später nach. Ich klingelte bei allen Nachbarn, sodass ich wenigstens nicht mehr auf der Straße stand. So endeten wir im Treppenhaus vor der Wohnungstür meines Exfreundes. Ich und der nasse Hund. Wenigstens war es dort nicht nass, sondern nur zugig.

Aber halt, ich hatte noch nicht den absoluten Tiefpunkt erreicht, sagte sich das Universum. Ich versuchte, meinen Exfreund zu erreichen - die letzte Person, die ich in dieser Situation kontaktieren wollte. Glücklicherweise oder unglücklicherweise war sein Handy aus oder er ging nicht ran. Allein, allein. Wir sind allein. Ich und der nasse Hund.

In meiner Ratlosigkeit rief ich meine Schwester an, der ich alles sehr gefasst erzählte (remember, mein Pragmatismus). Sie war weit weg und konnte wenig tun außer zuhören.

Also rief ich eine meiner besten Freundinnen an, die in derselben Stadt lebte, erzählte ihr meine traurige Geschichte. Wir hatten uns erst am Abend zuvor getroffen und ich hatte ihr von meiner glücklichen Beziehung erzählt und wie gut er und ich uns verstanden. Sie konnte mir ebenfalls nicht helfen, weil ihre Schwiegereltern da waren und sie selbst einen Hund im Haus hatten. Hello darkness, my old friend.

Teska hatte sich inzwischen vor die Tür gelegt. Von ihr war kein Vorwurf zu hören. Sie verstand unsere prekäre Situation wahrscheinlich nicht, aber zumindest ging sie auch nicht weg. Hunde sind einfach - du gehst mit ihnen spazieren und schon haben sie dich lieb. Menschen sind da wesentlich  komplizierter. Du kannst ihnen noch so viel Verständnis und Liebe entgegenbringen und sie lehnen dich doch ab.

Inzwischen war mehr als eine Stunde vergangen. Mich fror erbärmlich, während ich auf der dreckigen Fußmatte vor der Wohnungstür saß. Nachbarn kamen vorbei, sahen mich kurz an und gingen weiter. War das schon unterlassene Hilfeleistung? Oder einfach die großstädtische Gleichgültigkeit? Ich stellte mich darauf ein, die Nacht vor der Tür zu verbringen. Es gab Schlimmeres. Schluss gemacht zu bekommen, zum Beispiel.

In einem letzten Versuch schrieb ich dem Mitbewohner meines Exfreunds eine Nachricht auf Whatsapp. Vielleicht war da Hoffnung, irgendwas.

Das Universum hatte Gnade mit mir. Anscheinend war meine Quote an Herzeleid für dieses Mal erreicht. Der Mitbewohner meldete sich, dass er in zehn Minuten zuhause wäre.

Nach 20 Minuten war er da und öffnete die Tür. Ich musste ihm erklären, dass sein Mitbewohner und ich Geschichte waren. Wir hatten nie viel gesprochen, mir war es peinlich, dass das unser einziger längerer Austausch sein würde. Er sagte, dass es ihm leid tue. "Mir auch", murmelte ich.

Ich trocknete Teska ab, so gut es ging. Es war fast 11, es regnete weiter in Strömen. Ich wollte nicht in der Dunkelheit im Regen nach Hause fahren, also beschloss ich, da zu bleiben. Der Ex würde ohnehin nicht nach Hause kommen, so meine Überlegung, also machte es keinen Unterschied, ob ich bei ihm oder bei mir zu Hause alleine war.

Ich putzte mir die Zähne, wusch mir das Gesicht, zog meinen Schlafanzug an und legte mich in das Bett, das mir fremd geworden war. In der Hälfte, die mal "meine" war.

Irgendwann um fünf kam er zurück. Ich konnte gar nicht anders, als davon wach zu werden. Er legte sich zu mir ins Bett. Warum macht er das? Es gab doch noch die Couch. Ich rührte mich nicht, er rührte sich nicht. Ich konnte den Alkohol riechen.

Wir schliefen nebeneinander. Ich machte mir Gedanken über meine gesamte Existenz, die zu diesem Punkt geführt hatte. Wenn das Leben eine Geschichte ist, war meine eine Sitcom, die schon zu lange geht, mit zu vielen Schreibern, die sich nicht einigen können, wohin das Ganze führen soll. Die Zuschauer fragen sich auch schon langsam, mit wem die Protagonistin enden wird. Egal, wie das Finale aussieht - sie würden enttäuscht sein.

Irgendwie komisch, fast lustig, da mit ihm zu liegen. Manchmal rückte er näher, drückte sich an meinen Rücken, griff nach meiner Hand. Ich ließ ihn. Ich konnte mich nicht wehren. Ich wollte nicht.

Man kann viel nachdenken, wenn man so neben jemandem liegt, der einem bis vor zwölf Stunden so viel bedeutet hat. In der Zwischenzeit hatte ich unsere gesamte Beziehung Revue passieren lassen. Das ging leicht, es waren ja nur zwei Monate. Zwei Monate Tanz auf dem Vulkan. Jetzt war der Boden Lava und ich sollte mich retten, ehe es mich in den Abgrund zog. Ich kam zu dem Schluss, dass es besser so war, wenn wir es hier und jetzt beendeten. Ich stand auf, schrieb alle meine Gedanken in einen Brief an ihn, eingeschlossen mit einer Handlungsanweisung für die Kosten des Thailand-Urlaubs, den ich mit wegen ihm gebucht hatte. Notiz an mich selbst: Eine gesunde Skepsis in Liebesdingen ist immer angebracht.

Ich war stark, ich war gefasst, ich hatte alles unter Kontrolle. Übers Weinen war ich hinaus, sagte ich mir. Stop crying your heart out. Wir redeten erneut, ohne anderes Ergebnis. Er las den Brief, drückte mich noch einmal an sich. Die Lage hatte ich korrekt erfasst und selbst jetzt konnte ich ihm noch einige ermutigende Worte auf den Weg geben. Worte, die ich selbst gut hätte gebrauchen können. Zumindest mein Texttalent verließ mich auch in Momenten höchster Not nicht, dachte ich bitter. "Wir könnten noch einmal mit dem Hund rausgehen", sagte einer von uns beiden. Ich trat aus dem Zimmer, Teska stand von ihrem Bettchen auf und sprang mir schon freudig entgegen. Jede Faser ihres Körpers drückte Freude aus.

"Sie freut sich total darüber, dass du mit ihr rausgehen willst", sagte er. Ich blickte ihn unverwandt an, um wieder den Hund anzustarren, der versuchte an mir hochzuspringen. Das war zu viel. Dieser dumme fröhliche Hund schaffte es, was ein neben mir schlafender Exfreund nicht schaffte. Mich zum Heulen zu bringen. Hunde sind einfach - sie sind dankbar, wenn man mit ihnen Gassi geht und ihnen Leckerlis gibt. Diese treudoofe Seele, die einen einfach mochte. Endlich einmal etwas, das länger als vier Jahre hält.

Ich trocknete meine Tränen, schnäuzte mich. Wir gingen spazieren, redeten noch mehr. Es war deutlich, dass wir uns zwar mochten, aber dass er das so nicht mehr weiterführen wollte. Life's a bitch and you know it. Es reicht nicht, wenn einer will.

Irgendwann am Abend verabschiedeten wir uns voneinander. Er half mir, meine Sachen runterzubringen und im Fahrradkorb zu deponieren. Er schenkte mir seine alten Wanderstöcke, wie als Zeichen dafür, dass ich meinen Weg jetzt alleine machen müsste. "Danke für alles und für den Brief", sagte er. "Danke, dass du es versucht hast", sagte ich. Wir umarmten uns. Ich hatte Tränen in den Augen, aber das machte nichts. Es hatte sowieso wieder angefangen zu schütten. Ich weiß nicht, ob ich nichts sah, weil ich so weinte oder weil es so regnete. Meine Brille war von innen und von außen beschlagen.

Von jetzt an war Blindflug angesagt.



Die Poesie des Alltäglichen

Ausstellung "Zitate" von Wolfgang Herrndorf im Münchner Literaturhaus
Ihr kennt das Prozedere: Ich blogge, versuche regelmäßige Updates zu posten, um dann wieder für Wochen zu verschwinden. Wenn ich wieder auftauche, gibt es eine Entschuldigung, ich gelobe, mich zu bessern, und halte es für einige Tage oder Wochen durch. Oder nicht.

Es gibt keine Rechtfertigung, außer, dass mir das Leben dazwischen gekommen ist. Twitter hält ein paar trunkene Tweets bereit, die mein Verschwinden erklären. Kurz: Jemanden kennen gelernt, wie die Faust aufs Auge, Topf auf Deckel, Fisch zu Fahrrad. Die abgedroschenen Phrasen, so banal wie passend.

Anstatt heute eine interessante Reise anzutreten, gingen [CLASSIFIED] und ich in eine Ausstellung im hiesigen Literaturhaus. Er wollte gerne die Ausstellung "Zitate" von Wolfgang Herrndorf sehen, der neben seinem berühmt gewordenen Blog "Arbeit und Struktur" auch zahlreiche Illustrationen und Zeichnungen als Auftragsarbeiten, meist für die Titanic, anfertigte.

Ohne viel über Herrndorf zu wissen oder seinen Blog gelesen zu haben, gefiel mir sein Bildwerk. Er verstand etwas von Malerei, kannte seine Kunstgeschichte, jonglierte mit Anspielungen auf große Kunstwerke und machte das mit so großem Humor, dass wir und einige der anderen spärlichen BesucherInnen lachen mussten.

Auf den Wänden fanden sich immer wieder Zitate von Herrndorfs Oeuvre. Wer sich als BloggerIn oder TextschaffendeR richtig schlecht fühlen mag, möge bitte etwas von Herrndorf lesen. Er hat tiefen Eindruck bei mir hinterlassen mit seinem poetischen Blick auf das Alltägliche. Ich blätterte die Buchausgabe von "Arbeit und Struktur" durch und blieb an einem der ersten Einträge hängen. So wie Herrndorf über die Miele-Waschmaschine seine Eltern schrieb, möchte ich am liebsten heulen und alles, was ich je produziert habe, verbrennen. Ja, man wird besser mit jedem Text, aber dazu mit Talent und Stilvermögen ausgestattet sein - unvergleichlich.


[CLASSIFIED] und ich rätselten, was Herrndorf mit diesem Zitat gemeint haben könnte. Ich seh den Sternenhimmel. Ging es nur darum? Oder gab es eine tiefere Bedeutung? Große Kunst lässt viele Lesarten zu. Simple Kunst ist entweder Kitsch, Schwulst oder Propaganda. In jedem Fall uninteressant. Wir steigerten uns in eine Diskussion über die Natur von Begrifflichkeiten, dem Verhältnis zwischen dem Konkreten und dem Abstrakten und beließen es dabei, dass das Zitat das war, was immer wir ihm an Bedeutung beimaßen.

Meine Bewunderung für die PoetInnen des Alltags ist immens. Sie verkörpern das, was ich mir für mein Leben wünsche: Die Entdeckung des Poetischen im Alltag. Die Erzählung eines regulären Mittwochnachmittag im Büro, des Einkaufens nach Feierabend - zutiefst menschlich, immens rührend, niemals langweilig. Es ist einfach, heroische Großtaten literarisch aufregend zu gestalten. Eine Waschmaschine von Miele als Protagonisten auftreten zu lassen, dazu braucht es Begabung und unermüdlichen Fleiß. Bin ich zu faul, um besser zu werden?

Neu entdeckt: das gangundgäbe in der Kapuzinerstraße
Am Ende des Tages stehen Kaffee und eine heiße Schokolade. In der selben Straße, wo das Arbeitsamt ist, befindet sich das gangundgäbe, eine überaus geschmackvolle Cafébar und Rösterei, in der leise Jazz lief, in der ich mich aber selbst in Wanderstiefeln und Outdoor-Jacke wohlfühlte. No judgment. Ever.

Beim nächsten Mal muss ich einen dieser riesigen Cookies probieren. Oder einen Kaffee.

Gestrandet in Frankfurt

Schön ist es hier nicht. Aber hoch.

Da heute sowieso nur Fußball das Thema ist (sein kann?), fasse ich mich kurz. Heute war ein anstrengender Tag. Ich stand um halb fünf Uhr auf, um den Zug nach Frankfurt zu erwischen. Die etwa dreieinhalb Stunden im Zug verschlief ich komplett. Unsere Reisebuchung war so freundlich, mir einen Sitzplatz gaaaaanz hinten im Zug zu buchen, dass man sogar ins Fahrerhäuschen gucken konnte. Davon machte ich wenig Gebrauch, weil ich, nun ja, schlief. Es waren zwei Meetings anberaumt, von denen eines entfallen musste, weil ich so clever war, genau zur selben Zeit ein Training einzuplanen.

Ich erzählte etwas zur Selbstvermarktung online, wie man sich in Social Networks bewegen sollte, wenn man diese beruflich nutzt, und wie man Menschen anschreibt. Gerade wenn der Job darin besteht, viele Kontakte zu knüpfen, vergisst man schnell, dass hinter einem Profil ein Mensch steckt. Ein Mensch, der Protagonist/in ist seinem/ihrem eigenen Leben, und der/die seinen/ihren eigenen Zweck hat.
Das Training war meinem Empfinden nach für beide Seiten hilfreich, wobei ich manchmal vor mir selbst die Augen verdrehen musste - den Inhalt habe ich schon zum Erbrechen häufig behandelt, aber nur weil es für mich nichts Neues ist, muss das nicht für die Teilnehmenden gelten. Jedenfalls: Es wurde eine so lebhafte Diskussion aus dem Training, dass wir doppelt so lange brauchten, als ich veranschlagt hatte.

Der Rest des Tages bestand aus E-Mails und Anrufen - Bürojob eben. Auf dem Weg ins Hotel sah ich eine Menge Deutschlandfans, selbst Vuvuzelas konnte ich vernehmen - für mich das Zeichen, zu verschwinden.

Den heutigen Abend werde ich mit Sitcoms ausklingen lassen. Morgen gibts weitere Meetings und dann hat mich München wieder. Wie ich mich freue.

Zum vorgestrigen Eintrag wird noch eine längere Replik folgen. Mein Rant soll nicht so stehen bleiben.

Warum ich keinen weißen Ritter in schimmernder Rüstung brauche

In Kürze: Das junge Format von Zeit Online, Ze.TT, hat einen Artikel veröffentlicht, in dem ein Bio-Deutscher über asiatische Klischees und Alltagsrassismus gegen AsiatInnen berichtet. Ich finde das nicht in Ordnung, weil man auch direkt die Betroffenen zu Wort hätte kommen lassen können.



Heldengeschichten gehen immer gleich: Meistens zieht ein meist junger Typ aus in die Welt und rettet die Herzensdame, sein Universum und wird ein Stück weiser. Das passiert in Science Fiction, in Fantasy, in hoher und niederer Literatur, in Webcomics und im TV. Der weiße Ritter in schimmernder Rüstung kommt angeritten, rettet ganz heteronormativ die Dame und darf sich moralisch überlegen fühlen, während die Dame ihn anhimmelt und die übrigen Herren anerkennend nicken.

So oder so ähnlich muss man sich meinen Gedankengang vorstellen, als ich diesen Artikel von Ze.TT in meiner Timeline sah. Da schwingt sich der Autor zum Ehrenretter aller asiatischstämmigen Menschen auf, weil seine Freundin vietnamesisch-deutsch ist. Er, der wortwörtliche weiße Ritter, eilt herbei, um den Bio-Deutschen zu sagen, dass Asiatinnen keine Sexpuppen sind und Asiaten keine effeminierten Nerds.

Sehr schön ist natürlich die Überschrift, die schön die latent vorhandenen Rassismen von hypersexualisierten, willigen Asiatinnen und schwachen Asiaten überhaupt erst unters biodeutsche Volk bringt. Aber die sind ohnehin so verbreitet, dass sogar asiatische Frauen glauben, asiatische Männer wären aufgrund der Anatomie nicht interessant als Sexpartner. Was nicht stimmt, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Mal abgesehen davon, dass diese Penisfixierung ungesund und ein falsches Bild von erfüllender (haha) Sexualität gibt.

Versteht mich nicht falsch: MitstreiterInnen zu haben, die sich für andere Erfahrungen öffnen und mit einem Missstände angehen sind eine gute Sache. Mir geht es aber gegen den Strich, wenn wieder mal nur über die Betroffenen gesprochen wird, sie aber nicht selbst sprechen (dürfen). Und nein, mir reicht es nicht, dass Kien Nghi Ha zitiert wird.

Gerade wenn ein persönlicherer Blickwinkel gewählt wird, es sich um einen subjektiven Bericht handelt und nicht um einen journalistischen Report, sollte man doch jemanden anfragen, der Erfahrung aus erster Hand hat. Anstatt auf einen Bio-Deutschen zurückzugreifen, der sich auf die Schulter klopfen darf, wie offen und aufgeschlossen (im Afroamerikanischen nennt man das "woke") ist, will ich dazu etwas sagen. Ich brauche keinen weißen Ritter in schimmernder Rüstung, der kann hingehen, wo er hingehört: ins Reich der Mythen und Epen.

You tell 'em, Margaret.

Ich mein: DUDE, I'M RIGHT HERE! Eine Asiatisch-Deutsche mit einer starken Meinung, selbstbestimmt und frei, die sich seit Jahren (!!) mit dem Thema beschäftigt und nicht auf die asiatischstämmige Freundin zu verweisen braucht, um als legitim zu gelten. Ich muss mir den Schuh nicht erst anziehen, weil die Haut, in der ich lebe, unverkennbar asiatisch ist. Ich will für mich selbst sprechen und brauche bei Gott keinen weißen Ritter gegen Rassismus, der sich meiner erbarmt, weil ich den Mund nicht aufbekomme.

Zumal der Herr übersieht, dass man nicht als attraktiv gesehen wird, nur weil man Asiatin ist. Wer nicht auch noch dünn, klein und lieb ist, landet schnell auf dem Abstellgleis. Mal abgesehen davon, dass es neben denen mit AsiatInnen-Fetisch auch ganz klar Leute gibt, die sagen "auf AsiatInnen steh ich nicht". Diesen Zwiespalt, den Verlust von Selbstwertgefühl, kann ein weißer Ritter nicht nachvollziehen. Und auf Mitleidsalmosen kann ich verzichten.

Ihr merkt, ich bin frustriert - wofür mache ich diesen ganzen Mist, wenn doch nur ein weißer Typ darüber berichten darf, wie man über "uns" denkt, wenn es genügend Betroffene gibt, die gerne lang und breit darüber erzählen möchten oder es bereits tun? Ich melde mich freiwillig.


Aber ich vergaß: Es kann erst wahr sein, wenn ein weißer, heterosexueller Mann es gesagt hat und ihm ganz viele weiße, vornehmlich heterosexuelle Männer zustimmen. Meine Meinung wurde ja schon diskreditiert, als ich mit den falschen Weichteilen zwischen den Beinen geboren wurde.

Nochmal: Ich melde mich freiwillig. Habe es früher getan, werde es weiterhin tun. Damit eine extrem genervte, durchschnittlich große, besser gepolsterte Asiatin da draußen steht.

Richtigstellung: Der Autor Florian Prokop, hat mir mitgeteilt, dass er nicht heterosexuell ist. Ich habe das im Text angepasst.

Wanderlust.

Wanderlust - ist ein schöner romantischer Begriff für Fernweh. Wanderlust, die Lust, auszugehen und die Welt zu entdecken. Neues zu sehen und zu erleben.

Take me away from here.

Auf dem Nachhauseweg nahm ich einen Weg direkt an den Gleisen. Ich wollte den Verkehr der Hauptstraße vermeiden. Es war ein langer Tag gewesen, mit Meetings und vielen Anfragen, die es zu bearbeiten galt. Der kleine Weg war fast leer, nur zwei Teens filmten sich beim Longboardfahren. Sicherlich würde das Ergebnis auf Facebook oder YouTube zu sehen sein.


Ich ließ die beiden Youngsters hinter mir und radelte weiter. Nach wenigen Metern sah ich sie: eine geparkte, vielleicht ausrangierte, transkontinentale Eisenbahn. Sie hatte dieses alte Flair von Abenteuer auf Schienen, vom noblen, luxuriösen Reisen. Damen mit Hüten und Bedienungen im weißen, gestärkten Hemd. Zumindest meinte ich das.

Was hätte ich dafür gegeben, wenn mir ein freundlicher Schaffner zugewinkt und mich eingeladen hätte, einzusteigen. Nach Beijing zu fahren oder nach Danzig. Ans Ende von Europa im Westen oder im Norden. Ich wäre sofort mitgefahren. Wir wissen, dass das ein Wunschtraum ist - es gibt keine freundlichen Schaffner.

Oh wie schön war Tsumago.

Mir fehlt das Reisen, dieses "Geh aus, mein Herz, und suche Freud, in dieser schönen Sommerzeit"-Gefühl. Natürlich ist es ein luxuriöser Gedanke - vor 100 Jahren gingen nur die Superreichen und Privilegierten ins Land, wo die Zitronen blühen, während der arme Rest auf dem Feld oder in Fabriken malochen musste.

Dennoch - die Freiheit habe ich, dass ich sentimentalen Wünschen nach örtlicher Veränderung auf Zeit nachhängen kann. Der Luxus früherer Tage - nie war er erreichbarer. Mal abgesehen davon, dass ich im Vergleich zum Großteil der Weltbevölkerung unermesslich reich bin. *Geldscheineumsichwerf*

Ich will wieder weg. Nur wohin?

Angesichts des diesjährigen deutschen Sommers, der ganz nach Napoleon ein "grün gestrichener Winter" ist, mag ich irgendwohin, wo es stabil warm und sonnig ist. Wo man jeden Tag in Shorts rumrennen kann, vielleicht an einem großen Gewässer. Die Möglichkeit einer Insel.

Oh, was hab ich Wanderlust, lieber Blog. Mich zieht es in südlichere Gefilde. Ich muss aufbrechen. Bald.

Diabetes!!


Merke: In einem Büro zu arbeiten ist schlecht für die Gesundheit. Ständiger Kuchenkonsum erhöht die Gefahr für Diabetes. 

I'm gonna have my cake and eat it, too.


Dieser Tag war unproduktiv. Ich war zwar auf der Arbeit, aber an manchen Tagen schafft man nicht viel vom gesetzten Pensum. Stattdessen hing ich in meinem Bürostuhl wie eine leblose Puppe.

Da hilft nur eins: essen. Glücklicherweise feierte eine unserer Marken (ich gehe nicht auf unsere Multi-Brand-Strategie ein, das zu erklären würde mich einen Tag kosten) ihren 30. Geburtstag und es gab Kuchen für die Belegschaft. Darauf hatte ich mich die ganze Woche schon gefreut - der Kuchenlieferant war mir noch von letztem Jahr bekannt, als eine unserer anderen Marken 25 wurde. So einen saftigen, leckeren Schokoladenkuchen hatte ich selten, da störte auch die Fondantdecke nicht.

Um ein Uhr war es soweit. Mein Mittagessen hatte ich frugal gehalten, damit mehr Platz für den Kuchen blieb. Nach einer kurzen Ansprache eines Managers durfte der Kuchen angeschnitten werden. Sekt gab es noch dazu.

Ah, Kuchen. Endlich. Ich nahm den ersten Bissen.

Oh, die Enttäuschung! Der Kuchen war trocken, da halfen weder Fondant noch die Buttercreme. Ich war so enttäuscht, dass ich zwei Stücke aß. Und weil ich immer noch enttäuscht war, aß ich ein Stück Abschiedskuchen von einer Kollegin, die uns verließ. Ein simpler Fanta-Kuchen mit Dosenananans und Kokosraspeln. Er schmeckte so viel besser als der Konditorkuchen, dass mir fast die Tränen kamen. Warum hast du mich betrogen?! ;__;




Zumindest abends wurde ich entschädigt: KollegInnen wollten noch etwas essen gehen. Sie hatten Lust auf Dim Sum, also schlug ich spontan das Gyoza in der Augustenstraße vor. Bis auf meine Kollegin aus dem Marketing kannte das noch keiner. Es ist ein ganz kleiner Laden, mehr Bar als Restaurant, das eigentlich chinesisch ist, aus Marketinggründen aber auf einen japanischen Namen setzt. Die Karte ist sehr übersichtlich: Für kleines Geld bekommt man entweder 8 oder 12 Gyoza, auf Wunsch in einer Suppe. Jede von uns bekam ein extra Gyoza, vermutlich weil wir ordentlich Weißwein bestellten.

Lecker wars, wir haben viel gelacht über Storys von Google (weil es ein Entwicklungsstandort ist, treiben sich allerhand exzentrische Gestalten dort herum) und haben schon einmal vereinbart, dass wir uns nächste Woche etwas für die Mittagspause liefern lassen. Die Kolleginnen lobten meine gute Wahl, ich sei bei Essengehen jemand, auf deren Empfehlungen man sich verlassen könne.

Meine Reaktion, wenn Essengehen für eins meiner Talente gehalten wird:



I suck at Journal Blogging.

Papaya-Salat vom Kaimug. Sogar richtig scharf.

Journal Bloggen - also das tägliche Bloggen in Tagebuchform - soll einen amüsanten, leichten Einblick in den Alltag eines/r BloggerIn bieten. Ich stelle gerade fest, dass ich das nicht kann.

Stattdessen wird daraus in letzter Zeit eine ellenlange Abhandlung über Rassismus, Politik oder Stilkritik. Ich kann mich nicht kurz fassen.

Dabei sollte ich etwas anderes schreiben: Was es zu Mittag gab (Linsensalat mit Gurken und Tomaten, dazu eine Vollkornsemmel), dass ich neue Garderobe spazieren trage (ein Kleid, das ich umgenäht habe) und dass ich heute Abend Schwesterherz und eine Schweizer Cousine zum gemeinsamen Froyo-Essen treffe (Froyo ist ein Kofferwort aus Frozen + Yoghurt). Danach gehts zum Tanzen.

Genau, das Kleid. Zumindest das kann ich zeigen:

A photo posted by naekubi (@naekubi) on

Ich habe es genäht aus einem alten, noch größeren Kleid, das Jahrzehnte bei meinen Eltern im Kleiderschrank gammelte. Wadenlang, zum Reinschlüpfen, ohne Ärmel, lediglich mit Gummi in der Taille. Aber immerhin mit Rocktaschen.

Am Kleid habe ich einen Taillenbund in Dunkelblau ergänzt, einen Seitenreißverschluss eingefügt (das hat mich ziemlich Mühe gekostet), Abnäher und Flügelärmel reingemacht, am Ausschnitt dunkelblaues Schrägband eingefügt. Es ist nicht schlecht geworden.

Was man nicht sieht: Der Ausschnitt hinten ist recht tief, aber nicht so tief, dass man den BH sehen würde. Für solche absolut speziellen Bedürfnisse ist selbernähen toll, weil man es sich so hinschneidern kann, wie man es braucht.

Um nochmal auf das Journalbloggen zu sprechen zu kommen: Fotos sind in diesem Format essenziell. Aber da habe ich das nächste Problem - ich bin eine miese Fotografin. Dass das Fairphone 1 noch nie eine gute Kamera hatte, macht es nicht einfacher.

Technisch korrekt? Übersetzung, Sprache und Stil.

Ein Text, in dem ich mir Gedanken zu Sprache, Texten und dem Übersetzen widme. Weil einfach nur Worte übersetzen einfach nicht genug ist, will man einen ordentlichen Text.

via flickr, Pierre Metivier

Ich habe ja das unglaubliche Privileg, dass ich mit dem Texten Geld verdiene und bequem meinen Lebenswandel mit meinem Umgang mit Worten finanzieren kann.

Auch wenn ich in der Arbeit viel häufiger koordinieren, planen und E-Mails beantworten muss, schreibe und texte ich nach wie vor sehr viel. Slogans machen mir sehr viel Spaß, aber auch Broschüren, Einladungen und Whitepapers verschmähe ich nicht. Heute war mal wieder mein Textgefühl gefragt: Ich sollte den Text für ein E-Book überprüfen, der aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt wurde. Wir griffen dafür auf den Service einer in London ansässigen Übersetzungsagentur zurück.


Oh boy. Nachdem ich zwei Seiten des E-Book gelesen hatte, wollte ich schon nicht mehr. Der Text war an sich korrekt übersetzt, aber das reicht nicht. Es ist für mich als Linguistin und Literaturwissenschaftlerin eine banale Erkenntnis, aber zum gekonnten Übersetzen gehört mehr, als Wortbedeutungen nachzuschlagen und sie in grammatisch korrekte Sätze zu gießen. Das ist die absolute Grundlage. Die Kür ist der Stil und der Habitus einer Sprache.

Denn "technically correct is NOT the best kind of correct".

Technically correct is NOT the best kind of correct.

Wenn man Texte übersetzt, wendet man nicht einfach nur Regeln der Wortübertragung und Grammatik an. Man muss auch in eine andere Kultur übersetzen. Damit meine ich nicht die Frage, ob man einen Hot Dog als Wiener Würstchen bezeichnet. Sondern eher: Wie sieht ein informativer, werblicher Gebrauchstext im Deutschen aus, wie im Englischen? Wie klingt im Norwegischen Fachliteratur (sehr locker), wie im Französischen (sehr förmlich)?

Nicht alles, was in einer Sprache technisch möglich ist, genügt ihren ästhetischen oder stilistischen Ansprüchen. Ein/e MuttersprachlerIn würde das sofort erkennen, das irgendetwas nicht ganz passt, ohne mit dem Finger darauf zeigen zu können.


Nein, so einfach ist es nicht. Ellenlange englische Partizipialkonstruktionen oder Gerund sollte man nicht mit fünf Relativsätzen hintereinander übersetzen. Niemand sagt im Deutschen "vor 24 Monaten"; so spricht man allenfalls vom Alter eines Kleinkinds. Und was ist bitte "den Finger am Puls der technischen Innovationen"? Eine astreine Stilblüte.

Mir fällt immer wieder auf, dass das Deutsche sehr viel kompakter und bedeutungsschwerer ist als das Englische. Als ob pro Wort, pro Phrase mehr Inhalt transportiert werden müsste, weil man sonst riskiert, zu indirekt zu sein. Das Englische lässt einem aus deutscher Sicht mehr Freiheiten, es klingt auch im Ungefähren noch gut. Derselbe Satz, einfach ins Deutsche übertragen, hört sich hingegen seltsam flach und blutleer an. Wischiwaschi. Wie Flasche leer. Oder im Gegenteil sogar zu bedeutungsvoll - man übersetze einfach mal einen englischen Popsong, da hat man einen hohen Fremdschamfaktor, weil die Bedeutung zu konkret wird: "Hör auf mit meinem Herzen zu spielen", "Halt! Im Namen der Liebe" oder "Ich kann ohne dich nicht leben". *schüttel*

Das Deutsche hat einen gewissen Pathos, mit dem man lernen muss umzugehen. ÜbersetzerInnen haben da eine große Verantwortung - sie übertragen nicht einfach nur, gewissermaßen schaffen sie ein (literarisches) Werk neu. Ich erinnere mich an einen Podcast des Autors und YouTubers John Green, der voll des Lobes war für seine deutsche Übersetzerin, Sophie Zeitz. Man kennt ihn vor allem für Das Schicksal ist ein mieser Verräter (engl. The Fault in Our Stars), das ein Bestseller und ein erfolgreicher Film war. Seine Übersetzerin mache ihre Arbeit so gut, so Green etwas verblüfft, dass seine Werke in Deutschland mit denen von Jonathan Franzen und anderen amerikanischen literarischen Berühmtheiten verglichen würden.

Eine gute Übersetzung, so meine Auffassung, gibt einem eine "suspension of disbelief" - man akzeptiert das Universum des Werks, als ob es Fakt wäre. Eine schlechte Übersetzung hingegen zeigt Risse, an denen man deutlich ablesen kann, dass es nicht das Original ist, sondern eine minderwertige Kopie. Vermutlich ein weiterer Grund, warum ich Super Sad True Love Story nicht wirklich genossen habe. Ich hatte immer deutlich vor Augen: Das ist eine Übersetzung, das klingt nicht authentisch.

Die Eigenheiten jeder einzelnen Sprache machen das Übersetzen zu einer Herausforderung, weil man unweigerlich nicht alles übersetzen kann. Schwesterherz und ich haben eine Theorie, warum gerade Haruki Murakami einer der wenigen japanischen AutorInnen mit Weltruhm ist. Schwesterherz meinte, es liege an seiner lakonischen, sehr eindeutigen Sprache. Das japanische Schriftsystem mit seinen verschiedenen Lesarten erlaube ausgefeilte Wortspiele und Doppelbödigkeiten, weil man mehrere Bedeutungen eines Kanji gleichzeitig lesen könne.
So etwas ist unübersetzbar, wenn man nicht die Hälfte jeder Romanseite mit Anmerkungen versehen will. Überhaupt gilt für Wortwitz dasselbe wie für gewöhnliche Witze: Einmal erklärt, sind sie nicht mehr witzig. Ähnliches gilt für Lyrik, deren Bedeutung man zwar übertragen kann, deren Klanglichkeit, gewissermaßen deren Duft, niemals wird erfahren können wie ein/e kompetente/r SprecherIn.

Wie dem auch sei. Das Ende vom Lied war, dass ich der Agentur ihre Übersetzung mit 20 Kommentaren auf der ersten Seite zurückgeschickt habe. Diese enthalten sinnvolle Hinweise wie

"kommerziell is a terrible choice for commercial"
"this sentence manages to be cluttered and meaningless at the same time"
"no"

Lindy Hop und Whitewashing

via
Ich war gestern so fertig, dass ich es gerade so schaffte, ein paar Zeilen für den Blog zu verfassen. Nach ungefähr viereinhalb Stunden fast ununterbrochenem Lindy-Hop-Tanzen am Abend vorher tat mir alles weh. Es ist gleichermaßen Fluch wie Segen, wenn weniger Follower als Leader auf einer Lindy-Hop-Tanzparty sind und man ständig aufgefordert wird. Ich will ja auch tanzen und die Gelegenheit nutzen - wenn ich schon mal die Wahl habe.

Das Niveau meiner Tanzpartner war recht unterschiedlich: Da waren die drei Herren aus meinem Kurs, die ungefähr das beherrschten, was ich konnte, und deren Tanzstil ich kannte. Andere wiederum hatte ich noch nie gesehen, waren sehr viel weiter und geübter, sodass ich Mühe hatte, zu folgen. Merke: Das erste Mal mit einer neuen Person ist immer suboptimal, das gilt gerade fürs Tanzen. Da merkte ich schon, dass ich einiges noch zu lernen habe. Acht Tanzstunden reichen nicht aus für ausgefallene Sachen. Letztendlich landet man doch bei den drei Figuren, die man kennt, und fühlt sich gleichzeitig schlecht, dass man einem erfahreneren Tanzpartner wenig zu bieten hat.

Also auf ins Internet und Youtube-Videos angucken. Mehr lernen, mehr können, mehr tanzen. Es gibt zahlreiche Aufzeichnungen von Wettbewerben, aber auch grundlegende Basics-Videos wie den 6-Count- oder den 8-Count-Schritt. Als erfahrene YouTube-Nachturnerin habe ich bekanntlich kein Problem, daheim den Rechner aufzustellen und Tanzschritte nachzuahmen. Kopie ist der erste Schritt zu wahrer Meisterschaft.

Doch je länger ich zuguckte und übte, desto seltsamer fand ich es. Die meisten Lehrvideos waren weiß. Blütenweiß. Hübsche, einigermaßen junge, weiße Menschen, die einen Tanz tanzten, der aus dem schwarzen Harlem stammte, zu Musik, die von Schwarzen erfunden wurde. Lediglich ein Video mit dem Vater des modernen Lindy Hop, Frankie Manning (Gott hab ihn selig), war aufzutreiben. War das Whitewashing? Mal wieder? Wann geschah es, dass Lindy Hop zu einem Phänomen weißer Hipster wurde, selbst im Mutterland des Lindy Hop?

In Deutschland ist es recht klar - es gibt kaum Afro-Amerikaner, die Tradition des Swingtanzens kam mit der Begeisterung für amerikanische Kultur. Man könnte jetzt viel schreiben über die Subversivität des Swingtanzens zur Nazi-Zeit, aber das würde hier zu weit führen. Lindy Hop scheint zu einer reinweißen Veranstaltung geworden zu sein. Eine Art kulturelle Vereinnahmung und Verdrängung der eigentlichen, meist schwarzen ErfinderInnen.

Auf Twitter mutmaßte man, dass es an mangelnden Ressourcen liegen könnte: Lindy Hop-Tanzstunden sind Luxus. Ich habe es mir auch erst jetzt geleistet, weil ich während des Studiums kein Geld hatte: Die Frage war, nehme ich Flötenstunden oder gehe ich zum Tanzen? Ich wählte ersteres. Erst jetzt, wo ich einigermaßen OK verdiene, leiste ich mir diese Stunden. Soweit ich weiß, ich die schwarze Bevölkerung in den Staaten nach wie vor signifikant ärmer als eine vergleichbare Person weißer Haut. Heutzutage gibt es keine zweifelhaften Tanzschuppen, wo man das noch lernen könnte.

Das andere, darauf wies mich @eishle hin, ist die Angst davor, sich selbst zu repräsentieren. Auch das kann ich gut nachvollziehen. Es würde mir schwer fallen, in Deutschland in einen Dojo zu gehen und Martial Arts zu lernen, vielleicht noch bei einem/r deutschen MeisterIn. Möglicherweise bin ich da zu empfindlich, aber ich würde mich in so einem Umfeld unwohl fühlen. Beinahe gedemütigt, weil mir ein kulturell Außenstehender etwas über meine eigene Kultur beibringen soll. In den USA, wo die kulturelle und gesellschaftliche Kluft und das Selbstverständnis dessen noch ausgeprägter ist, wird das zu einem unüberwindbaren Hindernis.

Vielleicht, und das wäre die positive Lesart der ganzen Sache, hat sich die afro-amerikanische Kultur einfach weiterbewegt. Anstatt nostalgisch in die Vergangenheit zu gucken, wie viele weiße Menschen das tun, konzentriert man sich vielleicht lieber auf das Jetzt und auf das Morgen. Lacht mich ruhig aus, wenn ich Twerking erwähne, aber das ist auch ein genuin schwarzer Tanz, der heute so skandalös ist wie damals Swing-Tanzen*.

Guckt euch ruhig mal alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen von afro-amerikanischen Tanzrevues an - die Performances sind für mich im 21. Jahrhundert immer noch ganz schön gewagt.

Was heißt das für mich als gelbe Person? Ich mache weiter mit einem Gefühl der Dankbarkeit und immer in dem Bewusstsein, dass es ein schwarzer Tanz ist, den ich tanze.

Danke auch an @eishle und @annipasti für ihren Input auf Twitter!


*...den weiße KünstlerInnen für sich erobern zu versuchen. Miley Cyrus und so...

Fruchtige Nailart


Weil ich heute nicht viel erzählen mag, zeige ich hier eine Maniküre, die ich für mein Schwesterherz gemacht habe. Sie wünschte sich etwas Fruchtiges.

Von Daumen zu kleinem Finger: Kiwi, Orange, Wassermelone, Grapefruit, Passionsfrucht.


Ich will mich ja nicht selbst loben, aber...


Buchrezension Super Sad True Love Story von Gary Shteyngart


Argh, was soll ich heute schreiben? Ich habe gestern nichts gemacht außer über den Brexit zu ranten und ein Buch fertig zu lesen, weil ich es in der Stadtteilbibliothek abgeben musste. In München gilt: Das Datum auf dem Rückgabeschein ist der allerletzte Tag, an dem man ein Medium zurückgeben kann. Danach sind pro Tag pro Medium 20 Cent sowie eine Bearbeitungsgebühr von 2,50 zu entrichten. Von den Mahngebühren hätte ich mir schon zwei Taschenbücher kaufen können.

Wie dem auch sei, gestern Nachmittag las ich den Roman "Super Sad True Love Story"* von Gary Shteyngart zu Ende. Er wurde mir vor Jahren von einem damaligen Kollegen empfohlen. Er kannte meinen Blog und meinte, vielleicht wäre das etwas für mich. Im Roman spielen Asian-Americans eine gewichtige Rolle, so seine Aussage.


Geschlagene drei Jahre hat es gedauert, bis ich das Buch schließlich gelesen habe, hier also mein Eindruck davon. Kurz zusammengefasst geht es um eine unglückliche Liebesgeschichte zwischen Lenny Abramov, einem russisch-jüdischen Mann mittleren Alters in New York, der ein wenig zu romantisch veranlagt und literaturinteressiert ist, und Eunice Park, einer fünfzehn Jahre jüngeren, hübschen Koreanisch-Amerikanerin, die distanziert und seltsam entkoppelt erscheint und sich für wenig anderes als ihre Familie und Konsum interessiert. Während Lenny Feuer und Flamme für Eunice ist, scheint Eunice ihn hauptsächlich dafür zu lieben, dass er nicht übergriffig und einfach lieb zu ihr ist. Er ist verknallt, sie findet ihn nett und angenehm.

Lenny arbeitet in einem Unternehmen, das Lösungen für ewiges Leben an Superreiche verkauft, er selbst fürchtet sich extrem vor dem Nichtexistieren. Überhaupt ist Lenny bisweilen ein extrem melancholischer, manchmal unerträglich weinerlicher Protagonist, wo ich mich frage, warum ich Bücher lese, deren Hauptcharaktere ich zutiefst unsympathisch finde. Es ist alles in allem eine asymmetrische Beziehung, durch und durch mittelmäßig, was vielleicht der Witz an der ganzen Sache ist. Weil nichts daran "super sad" ist.


Das Setting ist eine je nach Blickwinkel düstere Zukunft, in der Amerika in einer handfesten Wirtschaftskrise steckt, sich die Armen gegen die Amerikanische Restaurationsregierung stemmen und der Yuan und die chinesischen Banken den Weltlauf bestimmen. Es wird nicht mehr gelesen, sondern nur noch gescannt. Die Medien sind von Streams irgendwelcher "BloggerInnen" bestimmt, während die etablierten Media-Outlets zu großen Konzernen gehören und alles andere als unabhängig sind. In Tagebucheinträgen und Chat-Nachrichten erfahren wir, was zwischen Lenny und Eunice, aber auch was zwischen Lenny und seinen Eltern, seinen Freunden und seinem Boss, und was zwischen Eunice und ihrer Familie und ihrer besten Freundin passiert.

Zu Beginn war ich skeptisch: Der Autor hat russisch-jüdische Wurzeln, schreibt aber viel aus einer asiatisch-amerikanischen Sichtweise. Ob das klappt? Es ist schwierig, von außen ein authentisches inneres Bild einer anderen Kultur zu zeichnen. Aber es funktioniert weitgehend. Ohne selbst koreanische Wurzeln zu haben, sind gerade die Familienverhältnisse hervorragend dargestellt. Viele Konflikte und Themen, die im asiatischen Familienverständnis wurzeln, finde ich auch bei mir wieder. Man merkt, dass der Autor akribisch recherchiert hat. Gerade die Chatnachrichten von Eunices Mutter, in der deutschen Ausgabe ebenfalls in gebrochenem Deutsch gehalten, klingen 1:1 wie Aussagen meiner eigenen Mutter, die ebenfalls immer an meinen christlichen Glauben appelliert.

Was mir nicht so gut gefallen hat, war der extrem negative Blick auf  Internet, soziale Netzwerke und die (post?)moderne Gesellschaft. Die virtuellen Netzwerke und mobilen Devices erscheinen als Symptom für eine degenerierende Gesellschaft, die Hypersexualisierung (von Frauen) befördern und die Menschheit verdummen. Im Gedächtnis geblieben sind mir Onionskin-Jeans, durchsichtige Hosen, die alles enthüllen, TotalSurrender - Höschen, die sich im Schritt öffnen lassen, sowie der exzessive Gebrauch des Wortes "Bitch". Das Buch ist von 2011, also muss es in den vergangenen fünf Jahren noch schlimmer geworden sein.

Insgesamt war das Buch OK, ich gebe ihm 3,5 von 5 Sternen. Wer Romane von Houellebecq und Dystopien aus naher Zukunft mag, wird "Super Sad True Love Story" gut finden - es enthält nicht ganz so viel Sex und Ekel wie Houellebecqs Oeuvre, dafür denselben pessimistischen Blick auf unsere baldige Zukunft. 

*Affiliate Link.

Simplifying ist Bullshit.

Mein Balkon bleibt derzeit meine einzige Freude. Das, und Tanzen.


Das war sie also - die Abstimmung in Großbritannien. Brex und hopp, sozusagen. Mit einer hauchdünnen Mehrheit haben sich die EU-Gegner durchgesetzt, und gleich rauschen die Börsen in den Keller und das britische Pfund verliert signifikant an Wert. "So schlimm war es letztes Mal 2008" hört und liest man allenthalben.

Ganz ehrlich gesagt, hat mir diese News den Tag verdorben. Das leicht gallige Gefühl kriege ich nicht mehr los, zu sehr nagt es in mir. Es regt mich wirklich auf. Nicht, weil ich die EU für das Nonplusultra halte, nein, sondern weil ich den Eindruck habe, dass pures Unwissen, Hetze und niederste Ängste zu diesem Ergebnis geführt haben. Anstatt informiert eine Wahl dafür oder dagegen zu treffen, hat man an die Angst der Menschen appelliert: Angst vor den Fremden, "den anderen", Angst vor schwindenden Pfründen. Es gibt kaum etwas weniger Rationales als ein verängstigter Mensch.

Das Ergebnis dieser Wahl sehe ich als eine weitere Ausprägung einer beunruhigenden Tendenz in unserer heutigen Zeit, komplexe Sachverhalte mit möglichst einfachen Antworten begegnen zu wollen. Ob IS, Pegida, Evangelikale, Donald Trump, AbtreibungsgegnerInnen oder Homo-/Transphobe: Immer ist es der Versuch, die komplizierte Welt mit ihren zahlreichen Zwischentönen auf simple Formeln herunterzubrechen: Wir gegen die, Schwarz-Weiß. Es gibt nur einen richtigen Weg, und du liegst falsch, falsch, falsch.

Simplify your life gewissermaßen. Was im eigenen Zuhause oder in der Psyche seine Berechtigung hat, funktioniert im 21. Jahrhundert in so komplexen Gebilden wie Gesellschaft oder Politik einfach nicht. Natürlich ist es attraktiv, die Lösung in einem markigen Spruch zusammenfassen zu können - "make America great again". Einfache Formeln treffen ins Mark, haben in ihrer Eineindeutigkeit eine krude Eleganz. Aber:

Simplify your Politik und Gesellschaft ist Bullshit.

Der Brexit ist ein weiterer Simplify your World-Ansatz, der eine Schande für die vor uns liegenden Herausforderungen ist. Es macht mich wütend, weil da anscheinend nur Holzköpfe agierten.  

Das perfekte Gif für unsere Misere.


Mein Verdruss richtet sich nicht nur gegen die WählerInnen, sondern zum einen gegen die PolitikvertreterInnen, die es versäumt haben, mit den Leuten zu kommunizieren und Sachverhalte zu erklären. Stattdessen haben sie sich alle in den Strudel von aufgeregten Gefühlen ähnlich einem/r hormongesteuerten 14-Jährigen mitreißen lassen. Der Informationsbedarf ist da: Gerade über die Behörden bei der EU wissen die meisten Menschen überraschend wenig. In UK ist bei Google die Suche nach "EU" wie eine Rakete abgehoben, aber erst nach der Wahl. Dabei sollte es Aufgabe der Volksvertreter sein, den eigentlichen Souverän, das Volk, auf dem Laufenden zu halten und Rapport zu geben. Ziel verfehlt. Setzen, Sechs.

Zum anderen habe ich die Medien auf dem Kieker. Es ist ein Unglück, dass die größten Blätter im Vereinigten Königreich diese Überemotionalität und Spaltung bei Brexit noch vorantreiben, in der Hoffnung, noch mehr Auflage und damit Kasse zu machen. Mit simplen Artikeln und klickködernden Schlagzeilen treiben sie einen weiteren Keil in die Gesellschaft, anstatt ihrer Aufgabe der halbwegs neutralen Information nachzukommen. Verdammt, es sind Leute wegen Brexit gestorben! Die Abgeordnete Jo Cox wurde von einem Hassverbrecher getötet, weil sie für den Verbleib in der EU gearbeitet hat. Dass EU-BürgerInnen oder andere "fremd" wirkende Menschen in UK bedroht und verletzt werden, sehe ich nur als eine Frage der Zeit. Und die Medien fragen sich, wie eine solche Radikalisierung passieren konnte. Man kann von der schreibenden Zunft ja nicht erwarten, dass sie wüssten, wie Worte wirken können. Keinesfalls.

Komplexe Dinge machen Mühe. Sich reinfuchsen in ausufernde Materie ist kein Spaß und wir alle hätten gerne Lösungen, die auf einen Bierdeckel passen. Aber das ist der Haken: Simple Minimallösungen sind maximal ungerecht, weil unsere Welt aus dem Larvenstadium raus ist. Wenn es überhaupt jemals eine solche "simple" Phase der Menschheit gab. Simplizität ist nur der Traum von einer idealen Welt in einer Vergangenheit, die es so nie gab.

Simplifying ist Bullshit.

*micdrop*

/Naekubi out.

Promi-Begegnung!

Mein Tag war äußerst unspektakulär, bis auf eine Sache, für die ich mich fast ein wenig schäme. Weils so blöd und belanglos ist. Aber nur fast. Here we go.

Ich war auf der Arbeit und checkte meinen Twitter-Account. Seit Jahren schon folge ich Joseph Gordon-Levitt auf Twitter, weil er ein cooler Typ ist und coole Sachen macht. Er postete gerade folgenden Tweet:


Pachobell? Dieser Komponist wäre mir neu. Das kann man doch so nicht stehen lassen! Das muss man korrigieren! Unbedingt! Immer diese AmerikanerInnen, die keine Ahnung haben von hoher Kultur*, tss. Klugscheißerin, die ich bin, setzte ich folgenden Tweet ab:


Tatsächlich wurde meine Korrektur registriert - kurze Zeit später retweetete mich Joseph. Fucking. Gordon-Levitt:


Ladies and Gentlemen, mit diesem kurzen Tweet ging ich in die Geschichte ein. Die Werbetexterin, die alle korrigieren muss, sogar Hollywood-Persönlichkeiten! Made my day.

Ich weiß, es ist dumm, man müsste meinen, als intelligente Frau kurz nach dem Verfallsdatum im besten Alter sollte ich darüber stehen, Anerkennung von berühmten Persönlichkeiten haben zu wollen. Aber seien wir ehrlich: Wer möchte nicht mal einer Berühmtheit auffallen? Heutzutage geht das ja recht gut dank Social Media. Jede Person, egal ob berühmt oder unbekannt, scheint mit wenigen Klicks erreichbar zu sein. Man möchte, dass der Glanz dieser Menschen auch ein bisschen auf einen selbst fällt, indem sie von unserer Existenz erfahren.

Aber, ganz ehrlich: berühmt sein möchte ich nicht. Schon nach diesem einen Retweet wurden mir die Reaktionen und Tweets fast zu viel. Dabei waren es nur ein gutes Dutzend in einer Stunde.

Wie dem auch sei: Twitter life goal achieved. Ich entspanne mich derweil weiter auf dem Balkon in der Hängematte.

*Pachelbels Kanon in D muss wohl als Gassenhauer unter den klassischen Stücken gelten. Er ist eine Geißel aller MusikerInnen und wird von New York City bis Oberpusemuckel hoch- und runtergenudelt. Wenn er gut gespielt wird, kein Problem. Wenn man sich das Stück aber in einer Dorfkirche von einer Organistin anhören muss, die sich beim Einstiegstempo verkalkuliert hat und bei den Sechzehnteln heftig stolpert und hinfällt, wünscht man sich nichts sehnlicher als Noise Cancelling Kopfhörer.

Meine Schuld.

Well, Shit. via flickr


Gestern Abend beschlossen Schwesterherz und ich (sie ist mal wieder bei mir), einen Kichererbsen-Salat mit Koriander zu machen. Er sollte in der Mittagspause verspeist werden und musste über Nacht ziehen.

"Hast du eine Plastikdose, die nicht ausläuft?" fragte mich Schwesterherz.

"Klar, nimm die Bentobox von Muji, die lief bei mir noch nie aus," sagte ich.

Sie packte ihren Salat in die hübsche weiße Box mit transparentem Deckel und Gummidichtung, ich tat in etwa dasselbe, nahm dafür aber eine andere Dose.

Heute gegen 10.30 erhalte ich eine Nachricht auf Hangouts:

Ausgelaufen... über alles >:-(

Shit.

Tut mir leid.

Unglück ist ein voller Einkaufswagen


Mein Unglück begann, als ich beschloss, mir Noise Cancelling Kopfhörer zu suchen. Dabei habe ich erst gestern geschrieben, dass ich mich mit dem Großraumbüro inzwischen angefreundet habe. Das heißt aber nicht, dass ich es immer toll finde, wenn 10 Leute um mich herum lautstark telefonieren.

Jedenfall hätte ich manchmal gerne die Möglichkeit, den Lärm auszuschließen. Also machte ich mich auf die Suche nach aktiven geräuschhemmenden Kopfhörern. Heute kam ein Paket an mit einem Kopfhörer, den ich testen wollte. Den sagenumwobenen Bose Quiet Comfort 25 hatte ich bereits getestet, und wenn ich auch die geräuschhemmende Funktion hervorragend fand, bin ich extrem unzufrieden mit dem Batterien-System. Ernsthaft, im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert noch auf AAA-Batterien setzen ist für mich inakzeptabel. Ich will mit USB laden. Man kann doch nicht ein hochinnovatives Produkt entwickeln und dann auf quecksilberverseuchte Normalbatterien setzen. WTF.

Stattdessen habe ich von AKG den NC60 bestellt, der mir ganz gut gefällt. Die Noise Cancelling Funktion ist nicht ganz so beeindruckend wie bei Bose, man hört noch Verkehr oder Stimmen sanft durch, aber ich habe mein Telefon auf der Arbeit dreimal überhört. Zudem lässt er sich per USB aufladen, was für mich ein Riesenplus ist. Allerdings geht das nur mit dem AKG USB-Ladekabel, andere funktionieren nicht. Zudem höre ich in Kombination mit meinem Fairphone 1 ein seltsames Klickgeräusch, das bei anderen Geräten nicht auftritt. Mein Kopf schmerzt, aber nicht vom Musikhören.

Wer je behauptet hat, dass Konsum immer Spaß macht, hat noch nie versucht, Elektrogeräte oder Gadgets zu erwerben. Es gibt kein perfektes Produkt. Selbst wenn man nur von den eigenen Bedürfnissen ausgeht, liefert der Kapitalismus einem längst nicht genau das, was man will. (Ist nicht das erste Mal, dass der Kapitalismus enttäuscht, aber nun gut.)

Ich will einen Kopfhörer, der aktiv Geräusche dämpft (Bose QC 25), auch im normalen Modus klar und nicht zu basslastig klingt (alles außer Beats by Dr. Dre) und sich mit einem USB-Kabel aufladen lässt (AKG NC60) und vielleicht nicht 400 Euro+ kostet. Warum gibt es das nicht?

Das Problem mit solchen Investitionen für mich ist, dass ich nach dem "besten" Produkt suche. Bei einer solch heftigen Investition ist das mein gutes Recht. Das erfordert extrem viel Recherche, Nachlesen, Nachfragen und Tests, Tests, Tests. Ich kann nicht einfach irgendwas nehmen. Man rechne noch meine Entscheidungsschwäche hinzu und voilà, man ist in der Vorhölle des Konsums gelandet.


Aber es hilft nichts. Ich werde weitertesten und einen der großen Elektronikmärkte am Wochenende beehren. Wie heißt es so schön? Die Hölle, das sind die anderen.

Ich bin kein Eremit.

"Blumen im Garten, so zwanzig Arten, von Geranien, Schneeweiß und Petunien..."


30 Tage sind eine relativ lange Zeit. Lang genug jedenfalls, dass sich in diesem Intervall echte Gewohnheiten entwickeln können. Es heißt, man braucht mindestens drei Wochen, bis man eine neue Gewohnheit erlernt hat. Bis man eine Tätigkeit sich zu eigen gemacht hat, die einen dann prägt. Was ich damit sagen will: So langsam vermisse ich das tägliche Bloggen - so anstrengend es bisweilen war, eine Stunde oder mehr pro Tag in meinen Blog zu investieren, so sehr fehlt mir die kathartische Wirkung, vor einem Publikum mein Leben darzustellen und zu reflektieren.

Ich gebe es zu: Man gewöhnt sich daran, ein Publikum zu haben. Es befriedigt meinen Drang nach Selbstdarstellung; wenn ich dabei noch etwas Gutes bewirken kann, umso besser.

Für heute habe ich keine besonderen Ereignisse zu berichten. Ich verbrachte den Tag im Home Office, wo ich in Ruhe einige Dinge abarbeiten bzw. überhaupt in Angriff nehmen konnte. So angenehm ich es bisweilen zu Hause finde, so sehr würden mir meine KollegInnen nach einer Weile fehlen. Unglaublich, aber wahr: Selbst Großraumbüro kann in Ordnung sein. Wer hätte gedacht, dass ich diesen Satz einmal sagen würde. Ich, die ich mich als weitgehend introvertiert bezeichne.

Je älter ich werde, desto mehr zweifle ich an dieser Einschätzung. Nach wie vor finde ich große Menschenmenge eher anstrengend als belebend und nach einer guten Woche unter lauter Leuten freue ich mich auf meine eigenen vier Wände. Aber mit jedem Lebensjahr werde ich besser im Umgang mit anderen Menschen. Sie fehlen mir manchmal sogar. Unglaublich.

Das ist eine weitere Erkenntnis: Je mehr ich mit mir selbst im Reinen bin, desto mehr Verständnis habe ich für die Eigenheiten von anderen. Es ist, als ob ein pfleglicher Umgang mit einem selbst einen erst dazu befähigt, pfleglich mit anderen umzugehen. Wer hätts gedacht?! Die Imperfektion des Lebens zu akzeptieren, seine eigenen Unzulänglichkeiten zu sehen und zu akzeptieren - das bringt mich einen guten Schritt weiter.

Gleichzeitig wird es leichter, andere mit ihren Unzulänglichkeiten zu akzeptieren. Ein YouTube Video von Alain de Botton/The School of Life bringt es gut auf den Punkt: Wenn man es schafft, den anderen nicht nur als Idioten, sondern als liebenswerten Idioten zu sehen, hat man einen wertvollen Schritt persönlicher Reifung hinter sich. Vor allem wenn man weiß, dass man selbst einer dieser Idioten ist.

Um mit einer klassischen Publikumsbeleididung abzuschließen: Ich wünsche euch liebenswerten Idioten einen schönen Abend.

Und ja, das tägliche Bloggen ist zurück! Wir werden sehen, wie lang wir diesmal durchhalten ;)

Der Mordfall Yangjie Li - Behördenversagen hat in Dessau Programm.

Wut, Wut, Wut. via Patrik Nygren

Es ist schon einige Wochen her, ich schwanke zwischen Bestürzung, Entsetzen und Apathie. Ernsthaft, wenn solche Dinge passieren, ist man überrascht?

Um es zusammenzufassen für diejenigen, die unter einem Stein gelebt haben oder einfach andere Webseiten besuchen als ich:

Die chinesische Architektur-Studentin Yangjie Li, 25 Jahre alt, geht am 11. Mai in Dessau joggen. Von dem Lauf kommt sie nicht mehr zurück. Zwei Tage später findet man ihre Leiche in einem Gebüsch, das Gesicht entstellt, sodass man sie kaum mehr identifizieren kann.

An ihrem Leichnam werden fremde DNA-Spuren festgestellt, die auf eine Sexualstraftat hinweisen. Ein Mann gibt an, dass er und seine Verlobte sich mit Li am Vortag ihres Todes getroffen haben und dass die Spuren von ihm sein könnten.

Die Indizien wie Blutspuren in der Wohnung der beiden deuten darauf hin, dass sie die Täter sind.

So weit, so schlecht.

Skandale, Skandale

Was zunächst "nur" nach einem schrecklichen Mordfall anhört, wächst sich zu einem epischen Versagen der Behörden und der deutschen Gesellschaft aus: Zum einen sind die Eltern des mutmaßlichen Täters beide Polizisten, der Stiefvater gar Chef der Dessauer Polizei.

Wer denkt, dass dadurch dem Filz Tür und Tor geöffnet ist, hat richtig geraten. Zwar übernimmt die Polizei in Halle die Ermittlungen, gegen die Eltern des Verdächtigen wird nicht ermittelt, es ist von Manipulationen die Rede, der Verdächtige hat nicht das erste Mal eine solche Tat begangen.

Die Tat ist schockierend, aber sexuelle Gewalt ist leider auch nichts Ungewöhnliches. Schockierend finde ich die Unverfrorenheit der Verdächtigen und die kulturelle Blindheit der Behörden. Es gehört schon eine besondere Rohheit dazu, nach solchen Geschehnissen durch den eigenen Sohn fröhlich ein paar Tage später eine Kneipe zu eröffnen. Mit großer Feier und allem drum und dran. Die Empörung bleibt aus.

Gesicht verlieren - bittere Realität

Eine Sache macht mich als asiatischstämmige Person rasend: Die öffentlichen Mutmaßungen des Generalstaatsanwalts, dass Yangjie Li ein sexuelles Verhältnis mit dem Täter gehabt hätte oder sonst einem zweifelhaften Lebenswandel anhing. In den chinesischen Medien und sozialen Netzwerken wurden diese Aussagen einfach so als Fakt weitergegeben, ich vermute da Sensationslust und "lost in translation".

Wisst ihr, was das für Lis Familie bedeutet? Den absoluten sozialen Tod. Wer nicht in einer asiatischen Familie aufgewachsen ist, kann sich die Schmach und Schande kaum vorstellen. Das Gesicht verlieren ist dort bittere Realität.

Vietnam und China sind sich da recht ähnlich: Das, was die Kinder tun, fällt auf die Eltern zurück. Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist viel enger, im Guten wie im Schlechten. Darüber kann man denken, wie man will.

Fakt ist: Ihr Ruf ist für immer ruiniert. Nicht nur, dass sie ihre einzige Tochter verloren haben, sie müssen auch noch die soziale Schmach ertragen. In Asien gilt der Ruf vor der Gesellschaft noch was - wenn man da raus ist, hat man verloren. Der Ausschluss ist echt. Der Staatsanwalt hat ohne Not die Eltern beschämt, mit einer Lüge, die der lebende Täter in die Welt gesetzt hat. Während Yangjie Li sich dagegen nicht mehr wehren kann.

Ich kann nur resignieren. Dessau bedeutet Filz und Korruption und Vertuschung. Woher ich das weiß? Es ist nicht das erste Mal, dass jemand Nicht-Deutschaussehendes in Dessau zu Tode gekommen ist und nicht zu seinem Recht kam: Oury Jalloh. Gefesselt in "Obhut" der Polizei verbrannte er in seiner Zelle. Dieser Mord ist nach wie vor nicht gesühnt.

Ob es dieses Mal besser wird? Ich zweifle.


Wer genaueres über den Fall erfahren will, kann die Facebook-Seite Mordfall Yangjie Li besuchen. Hier gibt es zahlreiche Informationen dazu.

Look for the helpers. Ein persönlicher Nachruf auf Rupert Neudeck.

Kennt ihr Mr. Rogers? Mr. Rogers war eine Ikone des amerikanischen Kinderfernsehens, der versuchte, allen Kindern Selbstwertgefühl und Wertschätzung zu vermitteln. Es ist von ihm ein berühmter Satz überliefert, der in englischsprachigen Internetkreisen und motivierenden Memes immer wieder die Runde macht:

"When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping." - Fred Rogers
via


Warum ich das schreibe? Diese Woche verstarb Rupert Neudeck mit 77 Jahren. Die meisten Medien nennen ihn einen Menschenrechtsaktivisten, Pazifisten, was auch immer. Für viele vietnamesische Boatpeople ist er ein Held.

Als der Vietnamkrieg vorbei war und der Sozialismus in Vietnam eingeführt wurde, beschlossen viele Menschen "rüberzumachen". Das ist nicht so einfach, wenn das Land von anderen sozialistischen/kommunistischen Ländern umgeben ist und man gerade von dieser Ideologie fliehen möchte. Rupert Neudeck sah die Not der Boatpeople und reagierte: 1979 gründete er "Ein Schiff für Vietnam", aus dem später die Aktion Cap Anamur wurde. Die Cap Anamur, so der Name des Schiffs, fuhr im südchinesischen Meer umher und rettete über 10.000 vietnamesische Boatpeople - vor dem Ertrinken, dem Verdursten, vor den Piraten, die Frauen vergewaltigten, die Flüchtlinge ausraubten und ermordeten.

Cap Anamur. Den Namen der Seerettungsaktion hörte ich in meinem Familienhaus - geraunt, mit hörbarer Ehrfurcht in der Stimme. Aber auch mit viel Dankbarkeit. Dabei wurden meine Eltern gar nicht von der Cap Anamur gerettet - sie schafften es mit viel Glück in die Flüchtlingslager. Ich muss neun oder zehn gewesen sein, als meine Eltern ein Sachbuch über die Cap Anamur heimbrachten. Mein Vater legte es mir hin, worauf ich ihn fragte, was denn "Cap Anamur" sei. Er erklärte mir, was es damit auf sich hatte. An das Gefühl des Erstaunens erinnere ich mich noch heute. Da gab es also Menschen, die sich aufmachten, mit einem Schiff die Menschen zu retten, die verzweifelt Hilfe suchten. Menschen wie meine Eltern und meine Großeltern. Ich war erschüttert. Positiv.

Cap Anamur und Rupert Neudeck sind für mich Symbol für Mitgefühl und Tatkraft. Für Menschlichkeit. So wie Mr. Rogers gesagt hat: Die Situation mag noch so grausam sein, die Menschen so bösartig - es wird gleichzeitig immer diejenigen geben, die helfen. Weil sie es für richtig halten. Sie stehen hier, sie können nicht anders. Das gibt mir Hoffnung.

Im reichen Westen herrscht das Gefühl der Individualität vor: Der Gedanke, dass man sich am eigenen Schopf aus dem Morast ziehen kann. Dass Erfolg wie auch Scheitern aus dem eigenen Tun resultieren. Egal, was man mache, im Guten wie im Schlechten komme es nur auf einen selber an. Diese Einstellung ist kurzsichtig und vermessen. Als Kind von Flüchtlingen weiß ich: Unser (Über-)Leben hängt häufig von anderen ab. Von ihrem Wohlwollen. Dass sie den Menschen in uns sehen. Dass sie an uns glauben, kurz: dass sie uns helfen. Rupert Neudeck war ein Mensch, der guten Willens war. Ich bin mir sicher, er ist kein Einzelfall. HelferInnen gibt es überall.

Und sch**ß auf euch, die denken, Menschen seien "bastard covered bastards with bastard filling". Ich bleibe naiv und glaube daran, dass da draußen eine Menge hilfsbereiter Menschen herumlaufen. Weil ich sie selbst in meinem Leben gesehen und erlebt habe.

Auf der Arbeit höre ich häufig den schrecklich denglischen Satz: "Bist du bereit, die Extra-Meile zu gehen?" Rupert Neudeck ist nach diesem Maßstab zum Mond und zurück gegangen.

Danke, Rupert. Wir sehen uns auf der anderen Seite. (Dann quasi zum ersten Mal, weil ich dich leider nie getroffen habe.)

30 days of Blogging. Tag 30. Der krönende Abschluss.

Sonnengelb mit Glitter.
Was bleibt mir am Ende dieses Experiments zu sagen? Außer "holy f*ck, ich habs geschafft"? Zur Feier des Tages gibt es ein Bild meiner aktuellen Maniküre.

Ich weiß nicht, ob ich von dieser Erfahrung etwas gelernt habe. Vielleicht, dass mein Mitteilungsbedürfnis nicht so groß ist, dass ich dauerhaft Journal-Blogging betreiben möchte. Die Konsequenz und Bedingungslosigkeit, mit der man bloggen muss, fehlen mir. Ich bin dafür doch zu faul (jetzt ist es raus). Oder sagen wir: vielseitig interessiert.

Halt, vielleicht das: Manchmal ist es in Ordnung, halbgare Texte in die Welt hinauszuschießen. Denn in der Regel bin ich beim Schreiben sehr perfektionistisch. Kein Text geht raus, ohne dass ich ihn wenigstens zweimal lese und überarbeite. Außer ungefähr 15 der 30 letzten Texte. Aber das ist OK. Der Grund, warum ich diese 30 Tage des Bloggens veranstaltete, war meine Schreibblockade. Allzu häufig werden sie durch Perfektionismus ausgelöst - übrigens auch die Ursache für Aufschieberitis.

Für den Moment ist die Schreibblockade überwunden. Der Druck, immer etwas Hochwertiges für ein Publikum prodzieren zu wollen, hat mich erstarren lassen. Ich wollte soziale Kommentare abgeben, meine Gedanken klar und prägnant zusammenzufassen, Einfluss zu üben auf Diskussionen, die derzeit laufen. Vielleicht auch andere eine andere Meinung zu vertreten als Peers. Zum Beispiel hinsichtlich Feminismus, Rassismus usw. Ich habe manchmal andere Ansichten.

Aber die äußern? In halbgarer Form? Schlecht vorbereitet in eine Debatte gehen? Dann lieber nichts veröffentlichen.

Du sagst es, Ron.

Dieser Post beendet also die Serie von Blogposts. Kein krönender Abschluss, nichts Grandioses. Das Leben ist nun mal nicht immer grandios. Es ist "Gott, was ess ich heute abend?", "Shit, es regnet wieder" und "die Tanzstunde ist der Höhepunkt meiner Woche". Es steckt eine gewisse Tugend im grauen Alltag. Ihr habt sicherlich einiges über mich gelernt.


Meine letzten 29 Blogposts mögen schlampiger, unpolierter, roher sein, als man das von mir gewohnt ist, aber verdammt, die Texte sind draußen. Ich könnte jetzt das Bloggen für das Jahr einstellen, meine Quote für dieses Jahr habe ich übererfüllt.

Nein, das werde ich nicht machen. Ich werde diese Woche noch über einen Mann schreiben müssen, der zu den HeldInnen der vietnamesischen Boatpeople in Deutschland gehört. Danke, Rupert Neudeck.