Zu Hause bei den Sekitani - Teil 2

Um sich an einem Ort wirklich heimisch zu fühlen, hilft vor allem eines: gemeinsam essen. Da macht es auch nichts, wenn man nicht die selbe Sprache spricht. Ein paar Brocken Japanisch beherrsche ich noch aus den Zeiten exzessiveren Anime-Konsums, doch eher auf dem passiven Level.

Drei Tage bei einer völlig fremden Familie zu leben ist lang, und aus Dankbarkeit und als kleines Abschiedsgeschenk kochten Schwesterherz und ich für die Familie. Auf der Speisekarte stand also:

Spaghetti Bolognese.


Nun möchte man meinen, dass so ein Standardgericht international bekannt sein dürfte. Allerdings muss man zu bedenken geben: Wo keine Einwanderer, dort auch keine Einwandererküche. In Japan gibt es nun mal so gut wie keine Italiener - Japan ist ein sehr homogenes, abgeriegeltes Land. In diesem Sinne bin ich wahrlich gesegnet, in München leben zu dürfen, weil es hier quasi jede Landesküche mindestens einmal gibt. In Japan gibt es inzwischen auch Spaghetti und Dosentomaten, doch nach einer guten Pasta im Restaurant muss man lange suchen.

Spaghetti essen für Fortgeschrittene - auf dem Boden sitzend.

Mit unserer Spaghetti Bolognese betraten die Sekitani kulinarisches Neuland. Bevor wir allerdings zu kochen anfangen konnten, mussten wir einkaufen. Mutter Sekitani fuhr mit uns zum nächsten Supermarkt, wo wir alles einpackten - Möhren, Sellerie, Hackfleisch, Spaghetti, Tomaten. Nur zwei Dinge mussten wir importieren: Tomatenmark und Puddingpulver fürs Dessert. Ich weiß nicht warum, aber in Japan gibt es kein Tomatenmark zu kaufen.

Mütter sind überall auf der Welt gleich, und wenn man ungefähr dasselbe Alter wie deren Kinder hat, wird man dementsprechend behandelt: Mutter Sekitani bestand darauf, den Einkauf zu zahlen - "Ihr kocht schon, das passt schon so." Diskutieren zwecklos.

In meinem gesamten Leben stand ich beim Kochen noch nie so genau unter Beobachtung wie hier. Mutter Sekitani observierte ganz genau, wie wir vorgingen, und notierte sich alles haarklein - von der Anzahl der verwendeten Knoblauchzehen bis hin zu der Art, wie Schwesterherz die Karotten würfelte. Selbst Fotos wurden gemacht, um den Fortschritt der Bolognese zu dokumentieren.

mir wurde bescheinigt, dass ich einiges vertrage :D

Mir stand der Schweiß auf der Stirn - von der Hitze des Gasherds und aus Angst vor dem Vorführeffekt. Gerade wenn es gut werden muss, steht man unter besonderem Druck. Nur nicht dran denken, einfach kochen... Einer der Söhne hatte sich extra mitsamt seiner Frau zum Essen eingeladen - Bolognese als etwas Unerhörtes, Noch-nie-dagewesenes.

Die Soße köchelte Stunden vor sich hin und hatte Zeit, wirklich gut zu werden. Zwischendrin erklärte ich Mutter Sekitani in einfachstem Englisch, wie Fleisch, Gemüse und Konsistenz der Soße aussehen mussten. Wir bereiteten noch den Pudding zu und schichteten Vanille, Erdbeer und Schoko in kleine Gläschen und krümelten Kekse darauf. Uns fiel erst später auf, dass man darin auch die Deutschlandflagge sehen kann.

Schwarz-rot-gold war nie schmackhafter.

Als auch die Spaghetti al dente waren, konnten sich vor allem die weiblichen Sekitani vor Neugierde kaum zügeln. Ich ließ Tochter Sekitani die Soße probieren - nie sah ich glänzendere Sterne in den Augen eines Menschen im Angesicht eines Essens.

Was nun folgte, war beeindruckend: Die Sekitani spachtelten in sich rein, als, nun ja, als hätten sie das noch nie gegessen. Ich hatte extra viel gekocht, damit noch Reste zum Einfrieren übrig bleiben, doch - und hier lobe ich mich ausnahmsweise selbst - war mir von Anfang an klar, dass der Topf bis auf den Grund geleert werden würde.

Das Essen hinterließ Eindruck - aus den Notizen und den Bildern fertigte Sohn Sekitani noch am selben Abend ein bildhübsches Rezept-Dokument. Als kleines Gastgeschenk ließen wir die Tube Tomatenmark zurück, was sehr dankbar aufgenommen wurde.

Es war wunderbar bei den Sekitani - zu Weihnachten und als weiteres Dankeschön für die wundervolle Zeit werden Schwesterherz und ich ein Weihnachtspaket schnüren - mit viel Tomatenmark.


Das war der letzte Teil meiner Japan-Berichterstattung. Einige Fragen werden wohl unbeantwortet bleiben, etwa wie eine japanische Hochzeit so ist, ob Schwesterherz und ich verstrahlt wurden und welche Lieder wir beim Karaoke zum besten gegeben haben..

Zu Hause bei den Sekitani - Teil 1

Urlaube sind immer dann am schönsten, wenn man hinterher sagen kann, eine Reise gemacht zu haben. Nicht nur Sehenswürdigkeiten erlebt zu haben, sondern auch Menschen.


- Das war definitiv eine Reise.

Nach einer erlebnisreichen, aber auch erschöpfenden Rundreise von Osaka über Kyoto nach Tokyo nach Niigata und Nagoya/Kiso Valley ging es zurück Richtung Osaka. Dort erwartete uns bereits Familie Sekitani. Schwesterherz kannte Tochter Sekitani noch aus ihrer Studienzeit in Japan - sie war ihre Englisch-Nachhilfelehrerin. Gewissermaßen als kleines Dankeschön durften wir drei Tage bei ihnen wohnen und uns entspannen. Besonders Mutter Sekitani schien sich über unseren Besuch sehr zu freuen. Sie war stets um unser Wohl besorgt und erzählte uns von ihren Flitterwochen vor 30 Jahren in Deutschland, zeigte uns Souvenirs und Fotos und gab ein paar Geschichten zum Besten. Etwa wie sie und ihr Mann sich im Zug mit einem deutschen Pärchen zwei Stunden unterhalten haben, nur mit Hilfe eines Wörterbuchs.



Wo Katzen sind, da lass dich nieder, denn böse Menschen haben keine Tiger.


Vor dem Aufenthalt fragte ich mich insgeheim, ob ich einen Unterschied merken würde - zwischen Japan prä- und post-Fukushima. Ob die Menschen politisierter wären. Die JapanerInnen sind echt gut darin, sich selbst und anderen Normalität zu suggerieren, Probleme unter den Tisch fallen zu lassen. Aber es gibt Unterschiede zu vorher - subtil, aber wahrnehmbar.

Irgendwo meine ich gelesen zu haben, dass man in Japan lieber nicht über Politik spricht und es nicht ansprechen sollte. Nun kam Sohn Sekitani auf das Thema - mit gewissem Unmut und aus dem Nichts heraus fragte er uns: "Ist eure Regierung auch so dumm wie hier in Japan?" - "Ja, ist sie." - "Warum?" - "Die tut in der größten Krise gar nichts, man merkt gar nicht, dass sie da ist." - "Soso." Er nickte verständnisvoll.


Selbst am Frühstückstisch kamen wir auf Politik - durch Mutter Sekitani, die einen Blick auf eine Schlagzeile der aufgeschlagenen Tageszeitung warf. Bei Reis mit Salat und Ei ging es plötzlich um Atomenergie und die Energiewende.



Familie Sekitani gehört zu den wenigen, die tatsächlich Solarpanels auf dem Dach haben. Bis vor acht Jahren gab es auch vom japanischen Staat eine Förderung, woraufhin sich Sekitanis für die Installation entschieden hatten. Die japanische Regierung hat es nie an die große Glocke gehängt, dass es die Förderung gibt. Jetzt, nach Fukushima, wurde die Förderung wieder eingeführt, doch wieder wird sie nicht an die Bevölkerung kommuniziert. Wenn man es also nicht vorher weiß oder danach sucht, wird man also nie von dieser Möglichkeit erfahren. Die Nicht-Förderung von Förderung also.


Schwesterherz und ich gehen vom Reis über zur Nashi-Birne. Einen Teil des Stroms verkaufen sie, erklärt uns Mutter Sekitani, dennoch: Es wird weitere 15 Jahre dauern, bis sich ihre Kosten amortisiert haben. Und in der Nähe von Osaka wurde für diesen Sommer das Atomkraftwerk wieder hochgefahren, um, wie Mutter Sekitani die Regierung zitierte, "die Bevölkerung vor der Hitze zu beschützen". Auch wenn bei schwülen Sommertemperaturen eine Klimaanlage angenehm ist, bei so einer Aussage käme ich mir von meiner Regierung mehr als ein bisschen verarscht vor. Sie verzog beim Gespräch keine Miene, doch allein dass sie es erwähnt hat, schien mir ein Ausdruck des inneren Kopfschüttelns zu sein.


Sie entschuldigte sich sogleich, uns mit diesem Thema behelligt zu haben und begann den Frühstückstisch abzuräumen. Schwesterherz und mir tat Japan irgendwie auch leid, aber wir sind da machtlos. Schwesterherz fasste es so zusammen: "Von außen können wir wenig bis gar nichts machen. Die Leute selbst müssen Veränderung wollen."

Ich glaube, die Zeichen dafür stehen gut.