Oh wie schön ist Kiso Valley

Wer mich sehr gut kennt, weiß vielleicht, dass meine absolute absolute Lieblings-Animeserie "Mushishi" ist. Sie basiert auf einem Manga, der hier in Deutschland leider nie erschienen ist.

Das Universum dieser Geschichte ist bevölkert von seltsamen Wesen, den Mushi (ihr dürft mit dem kindischen Lachen jetzt aufhören...), die als Wesen irgendwo zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen, Geistern und dem Leben als Energiefluss stehen. Nur besonders begabte Menschen können sie überhaupt wahrnehmen. Ginko, der Held dieser Geschichte, ist ein Mushishi, eine Art Schamane/Arzt/Vermittler, der durch Japan ziehend diese Wesen erforscht und Menschen hilft, die Probleme mit Mushi haben. Denn Mushi können Krankheiten und die seltsamsten Phänomene auslösen.


Das Japan, in dem Ginko sich bewegt, ist traditionell und doch anders, alt und irgendwie entrückt, wie ein Traumland. Das langsame Erzähltempo trägt das seinige bei. Die Menschen sind gekleidet wie zur Edo-Zeit, er selbst jedoch bewegt sich in seiner westlichen Kleidung, mit den schneeweißen Haaren und seinem grünen Auge (er hat nur eins) wie ein Fremdkörper durch diese Welt.

Worauf will ich hinaus? Wer weg von den japanischen Megastädten und ein bisschen diese Art von Traumzeit erleben möchte, dem empfehle ich einen Besuch im Kiso Valley. Von Nagoya aus fuhren Schwesterherz und ich mit einem Expresszug Richtung Nagano.* Die Landschaft ist hügelig und bewaldet mit japanischen Nadelbäumen und Bambushainen. Wir stiegen im Örtchen Nagiso aus. Dort ist, wenn man erst mal hinkommt: Wenig. Es ist ein verschlafenes Dörfchen, direkt am Kiso-Fluss gelegen. Wenn man der kleinen Hauptstraße nach rechts folgt, findet man nach 150m eine sehr schöne Holzbrücke über den Fluss:




Aber Nagiso ist nicht unser eigentliches Ziel. Wir wollen weiter ins Örtchen Tsumago - eine in der Edo-Zeit (so Mitte des 19. Jahrhunderts) blühende Poststadt mit kleinen Holzhäusern, wo müde Reisende einkehren konnten. Als dann der Fortschritt mit der Eisenbahn kam, war es mit dem vielen Fremdenverkehr vorbei. Die Menschen zogen weg. In den 1960er Jahren erkannte man den Wert dieser Stadt, ihre besondere Schönheit, und förderte daher ihren Erhalt. Dass das Dörfchen seine althergebrachte Form behalten hat und Menschen dort ganz normal wohnen, leben, zur Arbeit gehen, ist erstaunlich. Tsumago ist nach wie vor eine kleine funktionierende Stadt, kein reines Disneyland.

Der Bus dorthin fährt nur alle zwei Stunden, kostet 300 Yen und braucht sieben Minuten. Da wir quasi zwischen den Abfahrtszeiten ankommen, warten wir am Nagiso Bahnhof und kaufen Postkarten im Laden gegenüber. Wir hätten auch laufen können, was eine Stunde gedauert hätte. Angesichts der 36 Grad und der tropischen Schwüle entschieden wir uns dagegen. Der Bus (bzw. die Busse, es sind zwei, die in Tsumago halten) ist ein bisschen alt und hält links vom kleinen Bahnhof.




Durch Tsumago zu laufen ist beeindruckend. Es ist unglaublich still, nicht einmal die ewig zirpenden Zikaden sind zu hören. Stattdessen nur Ruhe, der Wind streicht durch die Reisfelder:



Die meist zweigeschossigen Häuschen sind alle bewohnt, teilweise zu kleinen Geschäften umgewandelt worden, in denen man Softeis, Sonnenschirme oder auch Holzlöffel erwerben kann. Das alte schwarze Brett der Stadt steht noch, im Zustand des 18. Jahrhunderts. Ringsherum erheben sich bewaldete Berge - im Winter fällt hier reichlich Schnee. Wenn es weniger heiß wäre, könnte man weiterwandern nach Magome, einer weiteren Poststadt, und wiederum weiter zu zwei Wasserfällen. Das hat unsere Kondition nicht zugelassen. Vielleicht beim nächsten Mal.



*Achtung: Nicht alle Expresszüge halten in Nagiso, doch am Bahnhof Nagoya sind die Pläne auch in lateinischer Schrift gekennzeichnet. Ihr könnt probieren, auf Englisch zu fragen, vielleicht habt ihr Glück.

Alle Fotos stammen von Schwesterherz, danke! Sie kann das mit den Fotos irgendwie besser als ich.


Beobachtungen...

...die interessant sind, jedoch keinen eigenen Blogpost rechtfertigen. Here we go:

Japaner/innen sind zum Teil dicker als noch vor drei Jahren bei meinem letzten Besuch. So fühle ich mich "not so big in Japan".

Die Leute in Tokyo laufen langsamer - irgendwie muss man ja das Smartphone bedienen.

Ein Satz, den ich so in Deutschland nie hören würde: "Du und deine Schwester, ihr seht euch überhaupt nicht ähnlich!"

Mückenstiche heilen tatsächlich schneller ab, wenn man nicht kratzt.

Anachronismus pur: Es gibt hier tatsächlich noch Raucher-Zugabteile und Raucher-Hotelzimmer. Auch in vielen Restaurants darf man nach wie vor qualmen.

Viele Japanerinnen haben O-Beine, die einem Pierre Littbarski alle Ehre machen würden.

In Niigata gibt es nichts zu sehen. Ich wiederhole: Nichts. Aber der nächste Strand liegt 15 Minuten Zug und 25 Minuten Fußmarsch entfernt in Aoyama. Wasser war schön warm und seicht, der Sand schwarz gesprenkelt und fein. Sonnenschirm mitbringen wird sehr empfohlen

Die Vorstellung, was eine ausreichende Portion ist, ist kulturell durchaus verschieden. Ich stelle fest, dass meine Portionen in Deutschland tendenziell zu groß sind.

Grüntee ist das Sprudelwasser Japans. Immer verfügbar, immer da. Wird getrunken wie, nun ja, Wasser.

Der neueste Schrei in Sachen Nagellack: gemachte Fußnägel mitsamt Glitzersteinchen. Dafür sind aber die Fingernägel nackt. Falls ich auf diesen Trend anspringe erfahrt ihr es hier zuerst.

Der ultimative Partnerlook: Du und dein Freund, ihr habt gemachte Fußnägel. In Neon.

Es gibt inzwischen viel mehr Jugendliche, die sich tätowieren lassen. Damit darf man zwar nicht ins traditionelle Onsen-Bad (Tätowierungen sind dort verboten), aber das ficht die jungen Leute nicht an.


Kleine Fotogalerie Japan

Ohne weitere Einführung - ein paar Bilder nebst Erklärungen.


Rubikwürfelroboter im Osaka Science Museum. Er mischt und löst Rubikwürfel selbsttätig. Am empfehlenswertesten ist allerdings das weltgrößte Planetarium, wo man für 600 Yen einen Sternenhimmel sehen kann, den es in Wirklichkeit aufgrund der Lichtverschmutzung kaum mehr gibt. Wenn die Sterne unter dieser riesigen Kuppel über einem aufgehen, ist das wirklich magisch, egal, ob man die Erklärungen versteht oder nicht. Innerhalb von ca. 60 Minuten erlebt man eine Nacht über Osaka im Schnelldurchlauf und lernt die wichtigsten Sternbilder, wie das "Dreieck des Sommers", den Schwan, den Schützen und den Skorpion. Das war dermaßen entspannend, dass ich hinter mir lautes Schnarchen hörte...


 
Das Schloss in Osaka. Im 16. Jahrhundert von Toyotomi Hideyoshi erbaut, war es Wohnung für den Adel. Wie so viele historische Stätten wurde auch diese mehrmals zerstört, niedergebrannt, erobert, vom Blitz getroffen, zerbombt und jeweils dem Original entsprechend wiederaufgebaut. Heute befindet sich im Schloss ein Museum, in der unter anderem die Lebensgeschichte des Erbauers in bewegten Dioramen zeigt: Spielszenen werden irgendwie mittels Fernseher und Spiegeln in die Landschaftsmodelle hineinprojeziert. Das untere Bild zeigt ein eindrucksvolles Modell der Schlacht um das Schloss im Jahre 1615. 


Das hier ist der Eingang zum Onsen in Kurama. Es liegt auf einem Hügel inmitten von Wald, ganz weit draußen. Mit der Bahn braucht man etwa 45 Minuten bis Kurama. Von der Haltestelle fährt ein Gratisbus direkt zum Bad. 1000 Yen kostet der Eintritt und ab 10 Uhr morgens darf man in 40 Grad warmem Wasser schön entspannen. Im Sommer hat man das Bad fast für sich - wer will schon bei 35 Grad Außentemperatur in noch heißeres Wasser steigen? Bilder vom Innenbereich gibt es nicht, da es sich um einen Freikörperbereich handelt (in Japan selbstverständlich nach Geschlechtern getrennt) und Fotografien streng verboten waren. Notiz am Rande: Hier trägt man im Intimbereich den natürlichen Look.


Mangazeichnen live - im Loft Department Store in Kyoto. Derzeit kann man täglich Künstlerinnen und Künstlern beim Zeichnen über die Schulter schauen und auch ihre Produkte kaufen. Ich mag die Häschen und Füchse im Bild.


Was wäre Japan ohne Purikura? Weniger schreiend bunt auf jeden Fall. Purikura sind Fotoautomaten, die man meist in Spielhöllen, den Game Centers, findet. Für gewöhnlich finden sich einige Freundinnen zusammen, betreten die Kabine und machen zusammen lustige Fotos. Der Automat "verschönert" einen automatisch: Größere Augen, Lidstrich, Lippenstift, hellere makellose Haut. Ich erkenne mich auf den Bildern kaum wieder...
Dann geht es an die Bearbeitung: Man kann farbige Hintergründe auswählen, Herzchen und Sprüche ins Bild malen und vieles mehr. Aber Vorsicht: Man arbeitet gegen die Uhr und die läuft schneller ab als man denkt! Sobald die Bilder gedruckt sind, kann man sie ausschneiden (siehe oben). Danach kommen sie in Geldbeutel oder Notizbuch als ultimative Erinnerung an Freundinnen oder an das letzte Date. Das Ganze ist wirklich eher was für Mädchen - bei all dem Rosa und Niedlichkeitsfaktor kein Wunder...

Leidensfähige Japanerinnen

Osaka im August. Es hat etwa 31 Grad im Schatten und 100% Luftfeuchtigkeit. Alles fühlt sich feucht und klebrig an: die Haare, die Klamotten, alles. Einzige Abkühlung bieten kalte Getränke und der Gang in Geschäfte, die auf einigermaßen angenehme Temperatur heruntergekühlt wurden.

Schwesterherz und ich stehen in einem Manga-Laden. Wer sich hier einen Buchladen wie Hugendubel oder Thalia vorstellt, liegt komplett falsch. Mangas erstrecken sich über unzählige Regalmeter, die einzelnen Reihen sind eng. Es läuft laute Bubblegum-Popmusik auf unerträglicher Lautstärke, es blinkt hier, es dudelt da. Es ist die Vorhölle in bunt. Während ich darauf warte, dass Schwesterherz sich ihre Mangas aussucht, beobachte ich die Leute im Laden.

Naekubi: Guck mal, Schwesterherz! Die eine Frau dort hat ihren blauen Cardigan am Rücken komplett durchgeschwitzt.
Schwesterherz (schmökernd): Hmm...
Naekubi: Warum zieht sie die Strickjacke nicht aus?
Schwesterherz (weiter schmökernd): Das würde doch das Outfit zerstören.

Im Hotel. Wir machen uns für den Tag fertig.  Der Fernseher läuft - japanisches Frühstücksfernsehen. Frühstücksfernsehen hat in Japan einen viel wichtigeren Stellenwert als bei uns, meint Schwesterherz.

Schwesterherz: ...und wenn da ein männlicher Moderator dabei ist, dann halten die Moderatorinnen den Mund. Die Männer stellen die Fragen.
Naekubi: Aha...
Schwesterherz: Jepp, die sagen dann fast nichts, außer vielleicht "oh wie nett/hübsch/toll". Sie sollen halt hübsch aussehen. Ist auch bei anderen Sendungen so: Wenn eine Frau dabei ist, dann häufig als Dekoration. Die Moderatoren sind meistens nicht so hübsch. Das macht aber nichts - die sollen hauptsächlich witzig sein.
Naekubi: ...