Warum ich gerne zur Arbeit gehe.

via Death to Stock Photo
Wann sollte man über die Arbeit schreiben, wenn nicht im Urlaub? Die meisten wissen, dass ich nicht Vollzeit als Schreiberin arbeite. Inzwischen verbringe ich einen großen Teil meiner Arbeitszeit mit Zahlen verschieben in Excel-Tabellen. Aber ich achte immer darauf, ausreichend Zeit fürs Schreiben zu reservieren: Sei es für Newsletter oder Artikel über Wearables und ihren Einfluss auf den Personalmarkt im Bereich Medizintechnik (zielgruppengerecht schreiben war schon immer meine Stärke).




 Es ist nach sechs, ich sitze noch am Schreibtisch. Mal wieder eine Überstunde. Das Abendessen rückt in weite Ferne. Der Magen wird unruhig und grummelt unzufrieden. Die zwei Kolleginnen, die gerade an meiner Tischinsel vorbeigehen, haben es besser: Sie machen gerade Feierabend und sind dabei zu gehen. Vermutlich sind sie auf dem Weg zur S-Bahn.


"Siehst du, da ist noch eine Asiatin und arbeitet," sagt die eine.
Die andere pflichtet ihr bei: "Ja, stimmt."


Bevor ihr eure Mistgabeln rausholt: Die beiden Kolleginnen dürfen das. Die sind nämlich Halb-Chinesin und Koreanerin, respektive. Ich versuche meinen knurrenden Magen zu übertönen und ein bisschen Konversation zu betreiben.


"Dann sind wir ja zu dritt", sage ich schmunzelnd.


"Sogar zu viert, F. ist auch noch da", entgegnet Kollegin 1. F.s Herkunft ist mir nicht bekannt, ihrem Namen nach hätte ich sie in Indonesien oder Malaysia verordnet. Ich frage aber selten nach, weil ich die Frage selbst meist ätzend finde.


"Wir sind ein nicht sehr effizientes Volk", meint Kollegin 2, die Koreanerin.


Ich muss lachen: "Aber wenigstens sind wir fleißig."


Sie nickt: "Ja, zumindest das - schönen Feierabend!"


Ich lache, wünsche den Kolleginnen ebenfalls einen schönen Feierabend und mache mich daran, die Excel-Dateien und Word-Dokumente abzuspeichern und meinen Rechner herunterzufahren. In meinem Bauch breitet sich ein wohliges warmes Gefühl aus. So gut fühlt es sich an, nicht die einzige Nicht-Weiße auf weitem Büroflur zu sein.


Zunächst einmal: Was bestimmte Randgruppen untereinander sagen dürfen, gilt längst nicht für "Outsider". Es ist ganz einfach: Solche Bemerkungen sind Witze, die Verbindlichkeit innerhalb einer Gruppe bringen. Sie fördern Zusammenhalt und Verständnis untereinander. Sie sind eine Anerkennung der Tatsache: Wir sind ein bisschen anders, vielleicht sogar benachteiligt, aber wir sind es gemeinsam. Würde eine nicht-asiatische Person diese Bemerkungen machen, hätten wir es mit einem Angriff zu tun: Du bist anders und ich lasse es dich spüren. Das vertieft Gräben. Noch haariger wird es, wenn wir Machtstrukturen, Privilegien etc. mit in Betracht ziehen. Es ist eben etwas völlig anderes, wenn ein/e Bio-DeutscheR über Schwarze Witze macht oder ein Mensch ohne Behinderung über einen mit. Das ist schlicht nach unten treten und nicht sehr nett - gelinde gesagt.


Ich mag mein Unternehmen. Auch wenn es bisweilen sehr stressig ist, gehe ich gerne zur Arbeit. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich im Intranet den Namen eines/r KollegenIn nachsehen muss, weil er mir nicht geläufig ist. Dass es im Großraumbüro nicht blütenweiß zugeht, sondern alle Ausprägungen menschlichen Daseins zu sehen sind. Dass in manchen Meetings jede/r einen Migrationshintergrund hat.


Bei mir im Unternehmen lacht niemand, wenn ich sage: "In unserem Bildmaterial brauchen wir mehr Frauen/People of Colour/verschiedene Altersstufen". Dann heißt es: "Ja, suchen wir ein anderes Bild aus." What?! Dass es zum Beispiel unglaublich schwierig ist, Stockphotos mit IT-lerinnen of Colour zu finden, ist ein anderes Thema.


Natürlich ist es nicht perfekt - auch hier gibt es Alltagsrassismus. Aber ich kann mir sicher sein: Wenn jemand über Kan*cken schimpft, ist jemand meiner vorlauten KollegInnen zur Stelle, ihn/sie zurechtzuweisen. Weil die Chancen sehr hoch sind, dass ein/e andere/r KollegIn genau von dort kommt. Was Altersstruktur und körperliche Befindlichkeit anbelangt, sind wir ausbaufähig: Unser Unternehmen ist sehr jung, die meisten meiner KollegInnen sind Anfang, Mitte Zwanzig, ich kenne kaum eine/n MitarbeiterIn über Vierzig. Niemand hat eine sichtbare Behinderung, wir haben kaum Übergewichtige.


Die ZynikerInnen unter uns könnten jetzt sagen: Das macht dein Unternehmen nur, weil es sich davon was verspricht. Worauf ich antworte: Natürlich! Es ist Kapitalismus! Aber das ist das Interessante: Man muss sich nicht entscheiden - das moralisch Richtige ist in diesem Fall das wirtschaftlich Vernünftige. Sehr homogene Teams neigen dazu, vorhandene Tendenzen zu verstärken, im Guten wie im schlechten. Repräsentation hilft allen, nicht nur den vermeintlichen Randgruppen.

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