Das rote Haus in der Sackgasse. Über vietnamesisches Wohnen.

Our house. In the middle of the street.


Ich besuche meine Eltern ganz gerne. Nichts schlägt hausgemachtes vietnamesisches Essen, für das ich selbst nicht in der Küche stehen musste. Ein Wochenende lang sich pflegen lassen, ein wenig Urlaub machen von den lästigen Erwachsenenpflichten.

Was mich immer etwas Umstellung kostet: Das Haus. Versteht mich nicht falsch, es ist ein gemütliches Haus, ein Reihenhäuschen, das sich meine Eltern hart erspart und erarbeitet haben. Ich verbrachte einen Großteil meiner Teenager-Jahre dort. Es steht in meiner Geburtsstadt und es ist unverkennbar: Rot. Mit blauen Punkten.

Das war nicht immer so. Als wir einzogen, war das Haus in einem schmutzigen Grau. Es war nie grau gestrichen worden, Abgase hatten dafür gesorgt, dass es schmuddelig und trist aussah. Das erste, was meine Eltern aufhübschten, waren die Fensterrahmen oder genauer gesagt, die Mauer um die Fensterrahmen und das Außensims: Mein Vater strich es in abenteuerlichen Aktionen, in denen er sich wortwörtlich weit aus dem Fenster lehnte, knallblau.

Dann passierte jahrelang nichts. Meine Eltern tobten sich innerhalb des Hauses aus. Mintgrüne Wände, kitschig anmutende Lackbilder mit Perlmutteinlagen, tausende Zimmerpflanzen und Familienfotos. Ein überbordender Hausaltar mit bunten Lichtern. Allerhand christliche Andachtsbilder. Ich weiß nicht, wer im Westen jemals das Konzept des "minimalistischen asiatischen Wohnstils" à la Zen entwickelte. Vermutlich kein/e Asiate/in.

Unser Hausaltar wurde gefeaturet in einer Facharbeit über Altäre in Mittelfranken.

Egal, ob ich bei Bekannten oder Verwandten zu Besuch war, egal, ob es in Italien, Japan, Vietnam oder der Schweiz war: VietnamesInnen aus der Generation meiner Eltern pflegen einen eklektischen, farbenfrohen Wohnstil. "Tone it down" ist kein Konzept, das in Südostasien erfunden wurde. Mehr ist immer mehr.

Als ich jünger war, überwarf ich mich regelmäßig mit meinen Eltern bezüglich ihrem ästhetischen Empfinden: Sie wollten bunt und farbenfroh mit vielen lustigen Mustern. Ich wollte Ruhe für die Nerven, Leere und weiße Wände. Sie nutzten jedes bisschen Platz, ich wünschte mir nichts sehnlicher, als den gesamten Krempel zum Recyclinghof zu bringen. Es wurde erst besser, als ich auszog und ich meine Wohnungen selbst gestalten konnte.

Aber zurück zum Haus. Als das Dach erneuert und das Haus ohnehin eingerüstet werden sollte, nutzten meine Eltern die Gelegenheit, das Haus neu zu streichen. Sie baten Schwesterherz, anhand eines Fotos einen Entwurf in Photoshop zu machen. Dieser erste Entwurf sah vor, dass die beiden Stockwerke in apfelgrün bzw. knallorange gestrichen wurden. Apfelgrün und Knallorange.

Treppenaufgang mit Originalwerken von Naekubi und Schwesterherz, ca. 2003.


In Deutschland braucht man grundsätzlich für optische Veränderungen an Gebäuden eine Genehmigung. Meine Eltern gingen also zum zuständigen Bauamt, in der Hoffnung, diesen Entwurf durchzubekommen. Schließlich wohnten wir nicht mitten im Stadtzentrum, sondern in einer Sackgasse mit kaum keinem Durchgangsverkehr.

Leider war ich selbst nicht dabei, aber meine Eltern schilderten das Ereignis im Bauamt folgendermaßen: Bei ihrem Termin legten sie ihre Pläne für das Haus sowie das Mock-Up-Foto vor. Der Sachbearbeiter sah es sich an, fand Gefallen an dem Entwurf. Sogar großen Gefallen. Deshalb lautete seine Antwort: Nein.

Nein?

Das könne er nicht genehmigen, das sei ein zu großer Eingriff in die Gesamtoptik des Stadtteils. Meine Eltern müssten sich etwas anderes überlegen. Leider leider.


Ob er denn das Bild behalten dürfe?

Der Beamte bekam das Bild nicht. Stattdessen entwickelten meine Eltern  EDIT: Schwesterherz einen Gegenentwurf: Knallrot mit blauen Punkten. Ein örtliches Unternehmen strich das Haus rot, während mein Vater ein ganzes Wochenende lang minutiös die blauen Punkte von Hand aufmalte, um am Abend des Sonntags rechtzeitig fertig zu werden, um direkt in die Nachtschicht zu fahren. Das Gerüst sollte am Montag abgebaut werden.

Auch wenn es nicht das Haus in Orange/Knallgrün wurde: Selbst rot mit blauen Punkten reichte, damit unser Haus eine Attraktion wurde. Eine Zeitlang kamen zahlreiche Spaziergänger vorbei, um sich das rote Haus mit den blauen Punkten anzusehen und es zu fotografieren.

Ich selbst habe mich mit dem Wohnstil meiner Eltern versöhnt. Klar, es ist nach wie vor nicht meins, aber hier geht es um den Ausdruck ihrer Persönlichkeit, nicht meiner. In einer Welt, wo es oft genug ernst und düster zugeht, brauchen wir Farben, Kitsch, vielleicht sogar Unsinn. "Bunt" ist Ausdruck für Lebensfreude, nicht umsonst ist Pippi Langstrumpfs Haus die "Villa Kunterbunt". 

Außerdem: Wer sich die Nägel mit Glitzer lackiert, sollte nicht mit Farbe werfen.

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1 Kommentar/e:

  1. Interessant :-) für mich sind Farben Leben. Bunt ist toll, wenn auch nicht überall. Weiß ist auch eine Farbe!

    Allerdings gehöre ich irgendwie auch in die selbe Farbfamilie wie deine Eltern... mit 16 musste ich unbedingt ein apfelsinenoranges Zimmer haben. Mit "tintenlila" Teppichboden. Hab ich auch bekommen ;-)

    Einmal weigerte sich eine Bekannte, sich dort reinzusetzen *kicher*

    Das grün -orange war und ist auch in meinem Lieblingsfarbenschema.

    Allerdings bin ich jetzt doch "in die Jahre " gekommen, wo man alles doch etwas ruhiger angeht... daher hauptsächlich bunte Nägel, ansonsten keine muster, aber colour blocking.

    Ich finde das Haus toll, auch wenn ich die Nuancen etwas anders gewählt hätte ... nicht so nah zusammen in der Helligkeit ... dann knallt es angenehmer. Aber die Pünktchen find ich süß :-)

    Ganz unabhängig davon fällt mir jetzt eine steinalte versteckte-Kamera -Sendung aus Großbritannien ein, wo, nachdem der "Mann des Hauses" überrascht wurde... nachdem er zur Arbeit war, rauschte eine Truppe Maler an (natürlich steckte seine Frau drin im Plan) und bemalte das winzige Reihenhaus hellblau mit riesigen weißen Punkten .... und dann warteten sie, bis er nach Hause kam.

    Gemein. Aber mir gefiel das Haus *schäm* :-P

    Aber zum Punkt "alles vollstellen" ... so war ich früher auch und momentan mache ich es nur gezwungenermaßen ... und sehne mich danach, dass nicht jeder Millimeter voll ist. Meine Mutter macht das so und in Schichten. Deckchen drauf und noch ne Schicht... XD

    Irgendwann wollte ich mal "einen Streifen Wand frei haben, von der Decke bis zum Boden". Nachdem ich lange dran gearbeitet hatte, sagte sie gleich "da kann ja noch was hin" X((

    Egal, dank dir für die Geschichte!

    Herzliche Grüße aus dem nassen, kalten und düsteren Berlin ...
    ;-)

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