Wie ich Deutsche wurde

... Ich wurde hier geboren und bin somit Deutsche.

Scherz, so einfach ist das nicht.

Man kann es sich im Normalfall nicht aussuchen, in welches Volk man hineingeboren wird. Ob das von Karma, Jesus oder dem fliegenden Spaghettimonster bestimmt wird, weiß ich nicht. Manchmal ist es auch einfach Weltpolitik und, natürlich, Zufall.

Meine Eltern stammen aus Vietnam und haben über abenteuerliche Wege nach Deutschland gefunden. Ich versuche meine Familiengeschichte hier mal kurz anzureißen: Meine Eltern sind Südvietnamesen aus der Gegend um Nha Trang ziemlich mittig in Vietnam. Nach dem Ende des Vietnamkriegs im April 1975 übernahmen die Kommunisten die Macht im Land. Die Zustände müssen ziemlich unerträglich gewesen sein, meine Eltern erwähnten verordnete Arbeitsdienste, Unterricht Gehirnwäsche in Sachen sozialistischer Ideologie und Bespitzelung, dazu noch Behinderung der Religionsausübung.

Meine Eltern flohen über das Meer und landeten zunächst in einem Flüchtlingslager in Malaysia. Da diese zehntausenden von Menschen dort nicht bleiben wollten/durften, musste die internationale Staatengemeinschaft eine Lösung für all diese Boat people (so nannte man diese Flüchtlinge) finden. Viele Staaten im Westen erklärten sich bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, was man heutzutage in diesem Ausmaß kaum mehr tun würde.

Die Länder bestimmten einfach, wie viele sie aufnehmen konnten und wen sie nehmen wollten. Große Lotterie muss das gewesen sein. Die meisten dieser Boat people wollten am liebsten in die USA, Kanada oder Australien, aber diese Länder waren wählerisch und über andere Länder wussten die wenigsten Boat people Bescheid.

Meine Mutter war zunächst im Kontakt mit einem Schweizer Mitarbeiter einer Hilforganisation, der sie und ihre Familie in die Schweiz nehmen wollte aufgrund der Schwere ihres Falles. Aber die deutschen Bürokraten waren schneller (klingt ziemlich unglaublich...) und so kam meine Familie Anfang der Achtziger nach Deutschland.

So wurde ich also Deutsche. Natürlich nicht sofort, da man nicht qua Geburt sofort die deutsche Staatsangehörigkeit bekommt, wenn die Eltern Ausländer sind. Das hat noch ein paar Jahre gedauert, bis meine Familie eingebürgert wurde.

In meiner weiteren Verwandtschaft tummeln sich aufgrund dieser weltpolitischen Ereignisse allerhand Nationalitäten: Wir haben Schweizer, Franzosen, Italiener, Amerikaner, Japaner und auch einige Skandinavier. Achja, und Vietnamesen sind auch dabei.

Keine Ahnung, wie ich zu Deutschland stehe. Ich bin den Deutschen allemal dankbar, dass sie meine Familie aufgenommen haben und genieße das einfache Reisen mit einem deutschen Pass. Mein Denken ist vermutlich auch ziemlich deutsch.
Außerdem denke ich, dass Deutschland hinsichtlich Geistes- und Kulturgeschichte ein unglaublich reiches Erbe hat. Hey, ich lebe in dem Land, das Immanuel Kant, das Bauhaus und elektronische Musik (von Stockhausen und Kraftwerk) hervorgebracht hat.

Andererseits ist da noch die Sache mit der Kollektivschuld, dem ewigen Gedenken an die bösen Taten im Dritten Reich. Wenn man wirklich eher zufällig Deutsche geworden ist, fragt man sich schon, was das mit einem selbst zu tun hat. Mein Großvater war nun mal nicht Nazi, sondern Fischer am anderen Ende der Welt.

Man muss den Deutschen ja schon Respekt zollen dafür, dass sie sich wieder und wieder und wieder und wieder mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Mir ist kein Land bekannt, dass dies so gründlich betreibt und sich so tapfer seiner dunklen Vergangenheit stellt.

Deutschland ist nicht so übel. Wirklich nicht.

Allen meinen Lesern wünsche ich noch einen schönen Feiertag!

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CONVERSATION

7 Kommentar/e:

  1. Interessanter Beitrag! Erzählen deine Eltern noch viel über die Flucht? Kann mir vorstellen, dass sowas recht traumatisch sein kann...

    Na, und in Bezug auf die deutsche Vergangenheit gibt es ja auch viele Deutsche in unserem Alter, die auch nicht so recht ihren persönlichen Bezug sehen, da sie ja da noch nicht geboren waren etc.
    Ich denke, wir haben keine direkte Schuld, an dem, was damals passiert ist, aber wir haben die Verantwortung, dass so etwas nie wieder passiert. Positiv finde ich, dass es z.B. in Deutschland die rechten und rechtspopulistischen Parteien viel schwerer haben, in die Parlamente zu kommen, weil es einfach nicht salonfähig genug ist, rechts zu wählen.

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  2. Dann wünsch ich mal einen schönen Tag der deutschen Einheit, so von der einen Deutschen zur Andern :)

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  3. @Julia: Meine Eltern erzählen nur davon, wenn ich frage. Aber dann ohne Punkt und Komma. ;) Ich finde es schon unglaublich, was sie da erlebt haben. Ich könnte glatt einen Roman darüber schreiben...

    Das mit der Schuld stimmt natürlich. Die Deutschen haben erfahren, was passiert, wenn aus Loyalität oder Gleichgültigkeit Kadavergehorsam wird und welche Folgen das hat. Deswegen haben sie eher ein Auge drauf als andere Nationen, das ist natürlich positiv :)

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  4. @DysfunctionalKid: Vielen lieben Dank! ^^

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  5. Schöner Beitrag. Das mit dieser Kollektivschuld hat mich früher sehr genervt an Deutschland, aber die neue Generation inklusive der ganzen Einwanderer oder Leute mit Migrationshintergrund (z.B. wie ich) ist viel selbstbewusster und positiver in der Welt unterwegs.

    Ich finde es wirklich toll, wie kritisch Deutschland mit der Vergangenheit umgeht und sie auf deutsche Weise sehr direkt thematisiert. Nur so können die ganzen schrecklichen Sachen verarbeitet und zum Guten verwendet werden.

    Ich wohne ja in London, wo ich es immer so krass finde, wie wenig kritisch hier über den Kolonialismus geredet wird (gar nicht oder positiv) und wie unkritisch auch mit Militär und Nationalismus umgegangen wird. Da merke ich immer, dass da Deutschland schon etwas weiter ist.

    Und jedes Mal, wenn ich wieder in Deutschland bin, freu ich mich über ein neues kunterbuntes Land, das immer wenig den Stereotyp entspricht und lustiger und entspannter wird.

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  6. @Christian: Danke für deinen Kommentar. So nervig das ewige Misstrauen der Deutschen sich selbst gegenüber manchmal sein mag, so froh bin ich doch darum. Wäre ja fürchterlich, wenn Geschichte sich tatsächlich wiederholen würde.

    Nationalismus der ganz unkritischen, naiven Art wie du sie in Großbritannien erlebst, hat es hier in Deutschland nicht ganz so einfach.

    Denk ich an Deutschland in der Nacht... schlaf ich meist ganz gut ;)

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  7. > Aber die deutschen Bürokraten waren schneller (klingt ziemlich unglaublich...)

    Eigentlich überhaupt nicht, wenn man mit beiden Bürokratien Bekanntschaft gemacht hat ;-)

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